Redner: Axel Dyck, Fraktionsvorsitzender

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
werte Gäste!

Die Soziologie versteht unter Migration im weitesten Sinne jeden längerfristigen Wohnsitzwechsel im geographischen und sozialen Raum.
Die uns vorliegende Beschlussvorlage meint statt Migration aber eigentlich Immigration, also Einwanderung aus fernen und uns „fremden“ Ländern, denn sonst müssten wir gleichzeitig auch über Emigration reden müssen. Ein genauso wichtiges Thema in der von einer radikalen Mobilität gekennzeichneten globalisierten Welt.
Das nur am Rande und zum Einstieg in die Problemlage.

Einige wenige Zahlen: Leipzig hatte 1871 – 107.000 Einwohner; 1900 – 456.000; 1920 – 620.000; 1938 – 710.000; 1989 noch 530.000 und der Tiefpunkt 1998 mit 437.000 Einwohner, Prognosen aus den 90er Jahren sahen für das Jahr 2010 eine Bevölkerung deutlich unter 400.000 Einwohner. Eine Katastrophe. Heute sind wir glücklicherweise wieder bei knapp 520.000 Einwohnern, darunter etwas weniger als 30.000 Ausländer. Aber sehr, sehr viele mit familiären Wurzeln, die vor Generationen auch außerhalb Deutschlands zu suchen sind.

Der Netto-Zuwachs an Leipzigern in den letzen 20 Jahren von weit über 100.000 Menschen kann auch nicht nur aus einem engeren Umfeld von 50 km resultieren. Da verwundert es schon, dass einige Zeitgenossen über einen so langen Zeitraum noch von vermeintlich „echten“ Leipzigern und von Zugereisten sprechen. Ein Ausdruck von provinziellen Denkmustern in vielen Köpfen, dem mit dieser Vorlage auch entgegen gewirkt werden soll.

Mit der Beschlussvorlage befinden wir uns mitten in der aktuellen deutschlandweiten Diskussion zum Thema – Migration und Integration, welche vor einigen Monaten lawinenartig anschwoll und jetzt nur noch wenige Wellen schlägt, aber dafür auch sachlich und fachlich fundierter geführt wird. Dies kommt auch im Text dieser Vorlage zum Ausdruck, die im Übrigen weit vor Beginn der deutschlandweiten Integrationsdebatte initiiert wurde. Es stellt sich die Frage, ob wir in Leipzig einen positiven Schritt voraus waren?

Wir beschließen heute Leitlinien. Ein bindender Beschluss wie Menschen, die aus anderen Ländern kommen, hier leben sollen, steht uns nicht zu. Aber wir können deutliche Erwartungen und auch Forderungen an sie formulieren. Und das wird getan. Der Hinweis auf unser Rechtssystem, auf Normen und Regeln sowie auf Potenziale, die im Bereich der Bildung noch aktiviert werden müssen, ist richtig und wichtig. Ich finde es ebenso wichtig und richtig, dass manch eine vielleicht etwas schroffe Formulierung aus dem Änderungsantrag der Kollegen der CDU-Fraktion übersetzt und dem Zweck dieser Leitlinien angepasst wurde. Die Leitlinien sind so eine runde Sache geworden. In diesem Zusammenhang finde ich es aber auch gut, dass es keinen Verweis auf eine wie auch immer zu definierende deutsche Leitkultur gibt.

Im Mittelpunkt der Leitlinien zur Integrationspolitik steht die Förderung der deutschen Sprache als notwendige Voraussetzung für Allgemeinbildung, Berufsausbildung und Beschäftigung in unserem lokalen Arbeitsmarkt. Das ist ein Geben und Nehmen oder Fördern und Fordern. Das muss immer in aller Deutlichkeit ausgesprochen werden.
Die deutsche Sprache ist der Schlüssel zum Integrationserfolg.
Auch wir in Leipzig werden in naher Zukunft einen Mangel an qualifizierten Fachkräften spüren. Ich bin von daher froh, dass der Ergänzungsantrag meiner Fraktion, der direkt die Notwenigkeit guter Bedingungen zur Gewinnung ausländischer Fachkräfte in den Mittelpunkt rückte, von der Verwaltung bereits eingearbeitet wurde.

Es ist aus meiner Sicht falsch, heute von guter oder schlechter Immigration zu sprechen. Warum? Weil es ein Projekt über mehrere Generationen sein wird. Und da könnten wir sofort über das allgemeine Bildungsproblem in Deutschland, also auch das der vermeintlich alteingesessenen Wohnbevölkerung reden.

Bitte beschließen wir heute die Leitlinien als Baustein für ein umfassendes Integrationskonzept, als Hilfestellung für einen normalen Prozess in der Bevölkerungsentwicklung unserer Stadt, der vor hunderten Jahren begann, der externen und internen Einflüssen unterlag und immer anhalten wird.
Die Menschen kommen, die Menschen gehen.

Wir alle können dabei nur gewinnen. Es muss uns aber auch klar sein, wo es Gewinner gibt, gibt immer auch Verlierer. Denn Städte und Gemeinden sind die Orte, an denen man die Auswirkungen erfolgreicher, aber auch misslungener Integrationspolitik am ehesten spürt. Also auch in Leipzig. Hier haben wir als Rat die Verantwortung, den Prozess erfolgreich für die Mehrheit zu gestalten. Alle werden wir nie erreichen; nicht auf der Seite der zu Eigeninitiative und Verantwortung aufgerufenen Zuwanderer, als auch bei den mit Leben zu füllenden Begrifflichkeiten wie Akzeptanz und Toleranz, was für beide Seiten, der tradierten Wohnbevölkerung und der der Zuwanderer gleichermaßen gilt.

Verlierer können aber auch die Herkunftsländer sein, wenn unsere Stadt vielleicht noch stärker zum Anziehungspunkt für gut ausgebildete Immigranten wird.
Denken wir daran, denn auch Deutschland ist ein Herkunftsland hoch qualifizierter Emigranten.