Beitrag von Axel Dyck

In der Ratsversammlung am 18.10.2000 wurde der Stadtentwicklungsplan Wohnungsbau und Stadterneuerung beschlossen. Die Zustimmung der SPD-Fraktion begründete der wohnungspolitische Sprecher, Axel Dyck, wie folgt:

Der vorliegende Stadtentwicklungsplan in gründerzeitlich geprägten Quartieren ist nicht der erste dieser Art in unserer Stadt. Ein kurzer Blick zurück lohnt sich durchaus, denn Probleme in wirtschaftlich und gesellschaftlichen Umbruchzeiten hat es in unserer Stadt schon oft gegeben. 1925 wurde mit der Ausarbeitung eines Generalbebauungsplanes begonnen, der 1929 nach 4 Jahren abschließend vorlag. Auch dieser Plan basierte auf einer recht konkreten Analyse des Vorhandenen und gibt Antworten vor allem auf die Frage wo und wie soll die Leipziger Bevölkerung wohnen. Und hier ist die Brücke zu unserem Stadtentwicklungsplan: 1929 wurden für das Jahr 2000 1,8 Mill. Einwohner für unsere Stadt prognostiziert. Heute sind wir froh, wenn sich die pessimistischsten Prognosen hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung hin zu einem weiteren negativen Saldo nicht einstellen und wir auf dem gegenwärtigen Stand verharren können.

Vor zehn Jahren stellte sich die Frage “Ist Leipzig noch zu retten?” Die Antwort lautet: Leipzig ist gerettet. Mit viel Bürgersinn, viel städtischen Engagement, mit staatlichen Finanzprogrammen, aber auch mit sehr viel privatem Kapital. Für alles ist zu danken. Aber wir müssen – sicherlich erstmalig in der Geschichte unserer Stadt – mit einem Überangebot an Wohnraum in allen Preissegmenten fertig werden. Und mit jeder weiteren fertiggestellten sanierten oder neugebauten Wohnung verschärft sich das Problem hin zu einem betriebswirtschaftlichen Kulminationspunkt, wo wiederum der Bestand nicht mehr sinnvoll bewirtschaftet werden kann und mit einem Zusammenbruch des Immobilienmarktes gerechnet werden muß. Ein “weiter so wie bisher” geht nicht.

Die Lösungen sind – so neu das in manchen Ohren klingen mag: Restriktive Beschneidung von Wohnungsbaustandorten, Bestandsverminderung durch Abriss, auch von vermietbaren vielleicht sogar sanierten Wohnungen, Konservierung von Gebäuden, Brachflächen im Stadtgebiet, weiße Flecken auf dem Stadtplan. Zu diesen noch durch uns zu treffenden politischen Entscheidungen gibt der Stadtentwicklungsplan eine aus meiner Sicht schonungslose Datenanalyse mit stellenweise sehr detaillierten und gut nachvollziehbaren Darstellungen von Ursachen und Konsequenzen. Wer zwischen den Zeilen liest, stellt aber fest – es kann auch noch schlimmer werden.

Unsere heutigen und zukünftigen Entscheidungen rund um den Stadtentwicklungsplan – wir nehmen den Plan heute zur Kenntnis, legen seine Fortschreibung fest und beschließen einige Grundsätze – sollten folgendes beachten:

  • Gründerzeitquartiere mit ihrem teilweise bürgerlich geprägten Ambiente als auch die Großsiedlungen sind in unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Epochen – mit ihren eigenen Vorstellungen vom Wohnen – entstanden und sind, egal wie deren Bewertung heute im einzelnen ausfällt, Teil unserer Stadtgeschichte und aus dieser nicht wegzudenken. Dazwischen liegt der 2. Weltkrieg mit seinen auch heute noch sichtbaren Wunden.
  • Die einen sind dominant in ihrer stadtbildprägenden Ausstrahlung und werden glücklicherweise wieder von vielen Bürgern als Wohnort angenommen.
  • In den anderen wohnen aber auch Zehntausende Menschen und viele wollen dort auch wohnen bleiben.
  • Die städtischen Aktivitäten sind demzufolge, wie im Vorwort zum Plan ausgeführt, dort zu konzentrieren wo in den Quartieren Defizite in räumlicher und sozialer Struktur vorliegen und für die dort Wohnenden zu einem solch großen Problem werden können, dass einzelne oder alle dort weg wollen. Die soziale Vielfalt und die Kontraste machen eine Stadt interessant und erlebenswert, nicht die Uniformität und die jetzt schon erkennbare soziale Entmischung.

Über die Feinheiten, wie der Plan umgesetzt werden soll, wird viel zu diskutieren sein; viele nicht umkehrbare Entscheidungen werden zu treffen sein; die Finanzierung ist ein großes Fragezeichen. Zu sprechen ist nicht nur hier im Rat, sondern bei und mit allen Beteiligten, mit den Menschen in unserer Stadt.

Der Stadtentwicklungsplan und seine kluge Umsetzung wird neben allen anderen Beschlüssen und Plänen einen großen Einfluß auf die Zukunft unserer Stadt haben. Ob die Analyse richtig war, wird die mittelfristige Stellung unserer Stadt unter den Großstädten Deutschlands und Europas zeigen. Liegen wir richtig sind wir in 70 Jahren vielleicht Millionenstadt, liegen wir falsch sind wir vielleicht Große Kreisstadt.