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Es gilt das gesprochene Wort!

Ute Köhler-Siegel

Sehr geehrter Oberbürgermeister, verehrte Stadträte, werte Gäste,

in Leipzig gibt es eine Vielzahl an Problemen in der Bildungslandschaft.

Die meisten dieser Probleme kann die Stadt nicht allein lösen, nur in Zusammenarbeit mit dem Land Sachsen und vor allem mit finanzieller Unterstützung des Landes.

Dass das nicht funktioniert, wissen wir alle. Bildungspolitik wird vom Finanzminister gemacht, dieser hat nur ein Ziel: sparen, um Geberland zu werden.

Nun könnten wir darauf warten, dass der Freistaat zu Einsicht gelangt und die Verantwortung für die Schüler übernimmt, die in diesem Schulsystem scheitern

oder

wir, die Stadt Leipzig stellen uns diesen Problemen selbst und entwickeln Lösungsansätze.

Dafür brauchen wir das strategische Bildungsmanagement. Lernen vor Ort leistete eine hervorragende Arbeit beim Bildungsmonitoring und lieferte uns viele Daten und Analysen.

Bildungsmanagement muss nun noch weiter gehen, um die Kernaufgaben lösen zu können.

 

In Leipzig sehe ich zwei grundlegende Kernprobleme:

1. die extrem hohe Zahl an Schulabbrechern

2. die Schulnetzplanung mit den hohen finanziellen Belastungen

 

Schulabbrecher

Wir haben in Leipzig eine erschreckend hohe Zahl an Schulabbrechern.

2013 haben 15,3% der Schüler keinen Schulabschluss erlangt, bei den Förderschülern sind es schockierende 62,6% der Jugendlichen, die ohne Abschluss die Schule verlassen.

 

Das ist ein deutliches Zeichen für eine vollkommen verfehlte Bildungspolitik. Es ist die Bildungspolitik des Landes, für die die Kommunen die Verantwortung übernehmen müssen.

 

Zum Thema Schulabrecher hat der Stadtrat im letzten Jahr eine wichtige Entscheidung getroffen. Die Schulsozialarbeit wurde gesichert. Die Stadt finanziert die Stellen an allen Oberschulen und an einigen Grundschulen. Bei der Optimierung der Klassen (also Auffüllen bis zum Erreichen des Klassenteilers und Zusammenlegung von Klassen, um noch den einen oder anderen Lehrer einzusparen) bleiben nun mal ein paar Kinder auf der Strecke. In einer 5. Klasse an der Oberschule mit 26 oder 27 Kindern mit einer Vielzahl an Integrationskindern, Kindern mit Migrations-hintergrund und Kindern aus eher bildungsfernen Familien brauchen die Lehrer die Unterstützung durch Schulsozialarbeit.

Wir alle wissen, dass deutlich mehr Stellen an den verschiedenen Schularten benötigt werden, aber die Kommune kann das unmöglich allein finanzieren.

 

Im Arbeitsprogramm des Oberbürgermeisters bis 2020 stellt er als Ziel, die Abbrecherquote auf unter 10% zu senken und verweist auf die „Leipziger Handlungsansätze zur Sicherung von Schulerfolg“.

Das Ziel ist definiert, die Handlungsansätze sind verfasst- und dennoch ist die Zahl der Schulabbrecher im letzten Jahr wieder gestiegen.

 

An dieser Stelle muss das strategische Bildungsmanagement weiter arbeiten. Um das Ziel zu erreichen brauchen wir eine genaue Analyse über die Wirksamkeit von Schulsozialarbeit, von allen Projekten und Maßnahmen, die sich um diese Kinder und Jugendlichen bemühen, damit wir als Stadträte entscheiden können, ob die richtigen Maßnahmen ausreichend finanziert werden. Wir erwarten Aufschluss darüber, wie im Vorfeld – im Kindergarten und in der Grundschule- gegengesteuert werden kann.

Schließlich ist bekannt:

  • in Leipzig werden vergleichsweise viele Kinder zurückgestellt, d. h. sie kommen ein Jahr später in die Schule,
  • überdurchschnittlich viele dieser Kinder besuchen dann eine Förderschule,
  • die Anzahl der Schulabbrecher an Förderschulen ist besonders hoch.

 

Das Bildungsmanagement kennt diese Zusammenhänge. Nun müssen Lösungsansätze erarbeitet werden, Finanzierungsmöglichkeiten gesucht  und die Umsetzung muss regelmäßig evaluiert werden.

Bildungsmanagement darf nicht mehr nur in der Rolle der Analytiker bleiben, es muss zielorientierte umsetzbare Lösungsansätze finden.

 

Beim  zweiten bildungspolitischen Kernproblem kann Bildungsmanagement auch wirksam werden und steuern.

 

Es gibt immer mehr Schüler, über eine wachsende Stadt freuen sich auch alle, aber Kinder kosten nun mal Geld. In den letzten zwei Jahren wurde viel Geld eingestellt:

Für Kapazitätserweiterungen (also Neubau und Brandschutz) wurden 100 Mio. Euro investiert, für den baulichen Unterhalt ca. 20 Mio. Euro.

Dennoch werden diese finanziellen Aufwendungen nicht ausreichen, um das Grundproblem zu lösen.

 

Die bisher immer noch nicht umgesetzten Projekte des letzten Schulentwicklungsplanes werden nun problematisch.

 

Im Bereich Mitte und Südwest steigen die Platzbedarfe für Grundschüler so schnell an, dass die vorhandenen Kapazitäten schon jetzt nicht mehr ausreichen. Neue Schulgebäude müssen schnellstmöglich zur Verfügung stehen. Dies wurde schon im Schulentwicklungsplan 2012 festgestellt, aber aus Kostengründen passierte nichts. Zwischenlösungen können nun noch teurer werden.

 

Den letzten traurigen Höhepunkt nicht umgesetzter Schulentwicklungs-planung erreichten wir mit dem Vorschlag der Stadtverwaltung, die Förderschule Thonberg an den Stadtrand zu verlegen, um die Kapazitäten für Grundschüler zu gewährleisten. Auch hier war die Problemlage lange bekannt.

Der Protest der Eltern der Förderschule Thonberg ist berechtigt –  so sieht Inklusion nicht aus, diese Lösung kritisierten auch viele Stadträte, aber wenn der Stadtrat nicht dafür sorgt, dass genug Geld eingestellt wird, kann die Stadtverwaltung auch keine anderen Lösungsvorschläge unterbreiten.

 

Die Kapazitätserweiterung ist also schon deutlich unterfinanziert, noch schlimmer sieht es mit den Mitteln für den baulichen Unterhalt aus.

Im Arbeitsprogramm des Oberbürgermeisters ist dazu zu lesen, dass „jährlich ca. 10 Millionen Euro für Bauunterhaltung von Schulen zur Verfügung gestellt“ werden.

 

Diese Summe provoziert geradezu,  Anträgen für den nächsten Haushalt zu stellen, denn der Unmut  wächst, die Schüler, Lehrer und Eltern formieren sich zu Protestaktionen.

Die SPD- Fraktion stellt in dieser Ratsversammlung Anfragen über den Sanierungsstau von Schultoiletten, Fenstern und Speiseräumen, um den dringenden Finanzierungsbedarf genauer einschätzen zu können. Hier erwarten wir von der Verwaltung eine ausführliche Antwort bis zur nächsten Ratsversammlung.

 

Besonders im Bereich Baulicher Unterhalt muss Bildungsmanagement spürbar sein. Auch der Notstand muss gemanagt werden. Ich sehe hier eine wichtige Aufgabe in ehrlicher und verlässlicher Kommunikation. Viele Schulleiter, Lehrer, Schüler und Eltern könnten die Problemlagen besser verstehen, wenn diese transparent- und ohne leere Versprechen dargestellt würden.

Kommunikation ist eben nicht die Stärke der Stadtverwaltung, sowohl ämterübergreifend als auch mit Bürgern.

Das Bildungsmanagement kann die Vielzahl an Aufgaben nicht alleine lösen. Das gelingt nur, wenn alle Akteure die gemeinsame Verantwortung übernehmen und gemeinsam handeln.

 

Mit der Vorlage zum Bildungsmanagement  haben wir erste Schritte in die richtige Richtung getan, aber vor uns liegt noch ein langer Weg, vor allem bei der finanziellen Untersetzung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Redner: Gerhard Pötzsch, Stellv. Vorsitzender der SPD-Fraktion

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
sehr geehrte Gäste!

Warum ich zu diesem Thema spreche, ist dem Umstand geschuldet, dass ich gefragt worden bin. Bildung ist ein riesiges Thema und fünf Minuten eine verdammt knappe Zeit. Im ruhig vor sich hin tobenden aktuellen Wahlkampf der Bundesrepublik Deutschland spielt das Thema Bildungspolitik eine kaum wahrnehmbare Rolle. Hier und heute schon. In Leipzig weiß man eben, worauf es ankommt!

Worüber ich nicht sprechen werde, ist die mangelnde Versorgung mit Krippenplätzen für unter Dreijährige, die bestehende soziale Ungleichheit beim Übergang aus der Grundschule in die weiterführenden Schulen, die Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot an Ganztagsschulplätzen, die Inklusionsanteile im internationalen Vergleich, über Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss, über die Bildungssituation bei Kindern mit Migrationshintergrund, über Jugendliche im Übergangsbereich zwischen Schule und Ausbildung, junge Erwachsene ohne Berufsabschluss,  und dass rund 13 Millionen Menschen in der Altersgruppe zwischen 18 und 64 in Deutschland nicht fehlerfrei schreiben können, bis hin zum funktionalen Analphabetismus. Ich spreche nicht über die steigende Studienanfängerquote, die soziale Herkunft der Studienanfänger, über den Anteil der Frauen in Wissenschaft und Forschung, und über den prozentualen Anteil der Bildungsausgaben  in Deutschland im OECD Vergleich.

Was ich hier aber zumindest einmal stichwortartig anreißen möchte, sind die seit Jahren üblich gewordenen Schlagworte im Zusammenhang mit Bildung, womit wirtschaftlich orientierte Interessengruppen das Sprechen über Bildung in unserem Lande usupieren, welche deren Zielrichtung, und das an sich ist ja ein beachtenswerter Fakt, allerdings auch deutlich erkennbar werden lassen!

Da ist oft von der Wissensgesellschaft die Rede, in welcher  wir heute leben. Vom Ausschöpfen aller Begabungsressourcen durch lebenslanges Lernen, um Humankapital zu bilden. Das ganze natürlich unter Inanspruchnahme effektiver Lerntechniken und Medieneinsatz,  und vor allem daran orientiert, was hinten rauskommt. Da wird messbarer Output gepriesen, und nicht irgend so ein unkonkretes Leitideal. Bildung soll sich gefälligst an solchen Standards ausrichten, welche Leistungen auch abbilden können. Ein Kritiker hat das mal zugespitzt als das bezeichnet, was es in Wirklichkeit wohl auch meint: Fertigungsstandards für Humankapital.
Diese Standards müssen dann, das verkünden uns die Apologeten einer so agierenden Politik über alle verfügbaren Medien, natürlich auch ständig überprüft, oder wie wir heute sagen evaluiert werden. Qualität misst sich nach dieser Denke nicht in erster Linie an der Beschaffenheit des Produktes, also Schüler oder Student, sondern an der Effizienz seiner Produktion.
Da die Verkünder solcherart Wahrheiten quer durch alle politischen Lager Gehör gefunden haben, hat die Kostensenkung bei gleichbleibendem Output längst und spürbar Einzug in unser Bildungswesen gehalten.

Zur Effizienzsteigerung dienen heute Programme des Qualitätsmanagements, also nicht in erster Linie, wie man sich vielleicht denken würde, Bemühungen um die Verbesserung der pädagogischen Fähigkeiten etwa der Lehrer, sondern das Schaffen von Strukturen, innerhalb derer die damit Beauftragten es vermögen, angestrebte Ziele in entsprechende Ergebnisse umzusetzen. Die Ökonomisierung des Bildungswesens ist längst eine unleugbare Realität!
Was für absurde Auswirkungen so etwas haben kann, macht vielleicht ein kleines Beispiel deutlich: Das Modell Schulischer Sozialarbeiter, welches an allen Bildungseinrichtungen ja dringend benötigt wird, wir kennen das aus unserer Stadt, wird sofort effektiver, wenn man jedem einzelnen von ihnen, per Anweisung, einfach mehr Schüler zuordnet, als er bisher zu betreuen hat.

Es geht also längst nicht mehr um die individuelle Selbstentwicklung der Persönlichkeit, sondern um das Erlangen der Kompetenz des „Produktes“ Schüler/Student sich an eine durch Wandel, Komplexität und wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichnete Welt anzupassen.
Aber welche anpassungsfähigen Eigenschaften, das fragt uns nun die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) voller Besorgnis, werden benötigt, um mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten?
Müssen wir uns über diese Frage wirklich ernsthaft den Kopf zerbrechen?
Ich vermute, dass die passenden Antworten für unsere Bildungspolitiker bei den Heerscharen von Lobbyisten und Beratungsagenturen längst in Auftrag gegeben sind. Irgendwo müssen in den vergangenen vier Jahren die rund 465 Millionen Euro Beratungshonorar für externe Leistungen des Bundesministeriums Bildung und Forschung  ja geblieben sein. Sind die Antworten gefunden, werden sie uns, da dürfen wir ganz sicher sein, dann über die Medien so lange bekannt gemacht, bis wir sie glauben.

Es ist hoch interessant, sich einmal die Veränderungen in der Bildungspolitik und die Rolle von Stiftungen und Unternehmen bei der erfolgten und fortlaufenden Umgestaltung unserer Bildungslandschaft zu betrachten. Dafür ist hier leider weder Zeit noch Raum. Zum Glück ist aber für den, der ernsthaft nach Aufklärung sucht, wirklich sehr umfangreiches Material zu heben. Ich versichere Ihnen, da ist Gänsehaut angesagt!
Was hat das von mir stichwortartig Angerissene noch mit der Bildungstradition von einst, welche nicht auf Anpassung, sondern Selbstständigkeit und – wo es angemessen und geboten schien – auch auf  Widerständigkeit  gegenüber den gegebenen Verhältnissen  zielte, zu tun?
Nichts.