Schlagwortarchiv für: Mobilitätsszenarien

Redner: Axel Dyck, Stadtrat

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Stadträte,
liebe Gäste,

es gibt einen Satz in der Geschichte der alten Bundesrepublik, von dem man durchaus behaupten kann, dass er es bis in die Leitkultur geschafft hat: „Freie Fahrt, für freie Bürger“. Entwickelt vom ADAC 1974. Da ist es nicht weit bis zur autogerechten Stadt. Und es gibt auch in unserer Stadt eine ganze Reihe von Interessen, die dieses Ziel auch heute noch für opportun halten.

Wie Städte aussehen, die sich diesem Diktat unterworfen haben, wissen wir alle – vielfach zerstörte Stadtstrukturen ohne Lebensqualität im öffentlichen Raum.

Es ist ein erstes Paradoxon, dass Leipzig in der Zeit der Stagnation, vor allem nach der Olympiabewerbung, wirtschaftlich zu schwach war, diesen damals noch vorhanden Mainstream zu folgen und weitere Trassen durch die Stadt zu schlagen – ein positiver Ausgangspunkt für heute.

Ein zweites Paradoxon liegt in der Erkenntnis, dass „Freie Fahrt, für freie Bürger“ nur mit weniger privatem Autoverkehr möglich ist, sowohl absolut als auch relativ im Modalsplit.

Diesen Erkenntnissen folgen wir mit der heutigen Beschlussfassung. Wir sind übrigens nicht die erste Stadt, in der neben dem Gefühl auch das Wissen um sich greift, dass nicht der PS-Stärkste das alleinige Recht auf „Freie Fahrt“ besitzt und damit die Rechte anderer einschränkt

Kopenhagen setzt auf den Radverkehr mit breiten Radwegen ins Umland – 41% der Wege zur Arbeit und in die Schule.

Wien setzt auf das 365 EUR Jahresticket um Fahrgäste in den ÖPNV zu locken.

Zürich setzt wie die gesamte Schweiz auf die Schiene.

Paris sperrt gleichmal eine Straße an der Seine für Autos.

Weitere Beispiele sind London, Helsinki, Madrid.

Überall tut sich etwas, das Ende des städtischen Straßenverkehrs wie wir ihn heute kennen, ist unausweichlich.

Wir müssen handeln und wir wollen handeln, das hat nämlich auch etwas mit stofflicher Physik zu tun: Wo ein Auto steht, kann kein zweites Auto sein. Man sollte sich mal vergewissern, wo früher zwei Golfs standen, hat heute gerade mal ein SUV Platz.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit der Konzentration auf das Nachhaltigkeitsszenario, eigentlich ein völlig irreführender Begriff, wagen wir einen kleinen Schritt in das nächste Jahrzehnt und streifen ein Korsett, eine Zwangsjacke ab, in welches wir uns, also die Bürger dieser Stadt, teils freiwillig, teils aus Mangel an Alternativen selbst gesteckt haben. Es war ja auch und ist es noch so bequem, solange man „frei“ fahren kann. Diese Zeiten sind aber auch in unserer Stadt bald vorbei. Verkehrssysteme kollabieren, wenn sie verstopfen.

Wir sind zum Handeln aufgefordert und gezwungen.

  • Nachhaltigkeitsszenario bedeutet vor allem:
  • Das erwartete steigende Verkehrsauskommen muss größtenteils in den Umweltverbund gelenkt werden.
  • Daraus folgen Netzausbau und Angebotserweiterung im ÖPNV bei nur moderaten Preissteigerungen.
  • Der Umweltverbund erhält bei der Aufteilung des Verkehrsraums eine höhere Priorität.
  • Konzentration des Straßenausbaus auf infrastrukturelle Entflechtungen.
  • Ausweitung des Quartiersparkens.

Das ist so leicht daher gesagt. Es wird mehr Umdenken in der Stadtgesellschaft und bei den Entscheidern erfordern, als wir uns das heute vorstellen.

Weil: Die Freiheitsgrade des Einen sind die Beschränkungen des Anderen. Wir sollten es deshalb auch deutlich aussprechen und dafür auch einstehen – Der mobilisierte Individualverkehr wird Schritt für Schritt in den nächsten 10 Jahren behindert werden. Auch um den Wirtschaftsverkehr nicht einzuschränken. Und an anderer Stelle werden Bürgerinitiativen entstehen, die neue Straßenbahntrassen verhindern wollen.

Am Ende hoffen wir, dass die Lebensqualität der Bürger steigt und der öffentliche Raum in einer enger werdenden Stadt neue Perspektiven erhält.

Die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat ist verwundert über den aktuellen CDU-Antrag zu den Mobilitätsszenarien.

„Mit dem aktuellen Vorstoß will sich die CDU-Fraktion offensichtlich aus der Diskussion stehlen und aus der Verantwortung zurückziehen“, kritisiert Axel Dyck, Sprecher der SPD-Fraktion für Verkehr und Mobilität.

Die CDU-Fraktion hat kürzlich einen Antrag ins Ratsverfahren gebracht, durch den sie erreichen möchte, dass die Mobilitätsszenarien künftig in Beteiligungsverfahren keine Rolle mehr spielen sollen. Die Stadtverwaltung hat auf wissenschaftlicher Grundlage einen Katalog erarbeitet, der die Verkehrssituation in Lepzig im Jahr 2030 prognositiziert und aus dem verschiedene Szenarien abgeleitet werden, wie sich der Verkehr in der Stadt bis 2030 entwickeln kann, wenn an verschiedenen Punkten Einfluss genommen wird oder entsprechend Prioritäten bei Investitionen in verschiedene Verkehrsarten gesetzt werden.

Dyck weiter: „Die CDU stellt im vor kurzem einberufenen zeitweilig beratenden Ausschuss Verkehr und Mobilität den Vorsitzenden, hat sich wie auch die anderen Fraktionen bisher konstruktiv an den inhaltlichen Diskussionen beteiligt und nun kommt aus dem Nichts ein Antrag, der den weiteren verabredeten Diskussionsprozess komplett in Frage stellt. Was die CDU-Fraktion damit bezweckt, ist mir nicht ersichtlich. Ich kann nur vermuten, dass die Christdemokraten in Sachen Verkehrspolitik noch dem Denken der vergangenen Jahrzehnte anhängen.“