Rede zum Antrag der Fraktion Die Linke „Benennung einer Straße nach Marinus van der Lubbe“

Redner: Gerhard Pötzsch, kulturpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
werte Gäste!

Meine Fraktion wird diesem Antrag der Fraktion Die Linke nicht zustimmen.
Es ist völlig unstrittig, dass die Hinrichtung des Marinus van der Lubbe ein barbarischer Akt eines Unrechtregimes war.
Jedes Todesurteil ist Unrecht.
In diesem Fall übrigens erst ermöglicht durch die Rechtsbeugung des ehemaligen Leipziger Ehrenbürgers und damaligen Reichspräsidenten, Paul von Hindenburg, im trauten Zusammenspiel mit dem gerade ins Amt eingeführten Reichskanzler Adolf Hitler.
Jeder an Geschichte Interessierte weiß um die Geschehnisse in der Folge.
Dass das Urteil am 10. Januar 2008 durch die Bundesanwaltschaft aufgehoben wurde, war natürlich überfällig.

Wenn aber die Formulierung des letzten Satzes des Antrages nahelegt, ohne die Signalwirkung der Umbenennung einer Straße, bestünde Gefahr, die Welt hinter Leipzig könne meinen, die Bürger dieser Stadt hätten aus der Geschichte nicht die richtigen Lehren gezogen, scheint mir das, gelinde gesagt, fahrlässig.
Der Beleg ist längst geliefert. Die mündigen Bürger dieser Stadt haben eindrucksvoll und vor der ganzen Welt bewiesen, wie man Diktaturen gewaltlos beseitigt.
Das Tagesgeschäft heißt seit fast zwanzig Jahren: Demokratie.

Gestatten Sie mir ein persönliches Wort: Ich finde es schwer erträglich, wenn solch tragische Personen, wie sie Marinus van der Lubbe zweifelsohne eine war, vielleicht, weil so jung zu Tode Gekommene zur Mythenbildung geradezu prädestiniert erscheinen, immer wieder dazu herhalten müssen, dass auf ihrem Rücken unendliche Historikerstreite ausgefochten werden und sich Ideologen, Sektierer und andere gläubige „Welterklärer“ mit ihnen und durch sie zu profilieren versuchen, um einer läppischen Tagesmeldung wegen.

Obwohl wir den Antrag ablehnen werden, und ich es für falsch gefunden habe, ihn nicht zurückzuziehen, bin ich den Antragstellern auch dankbar. Ich bin bei der Beschäftigung mit dem Thema auf etwas für mich Unerwartetes gestoßen. Auf ein Gedicht, welches mich berührt hat und welches der vierundzwanzigjährige Marinus van der Lubbe im März 1933 im deutschen Gefängnis geschrieben hat. Die Polizei hat es übersetzt. Es liegt in den Akten. Es geht so:
Schönheit, Schönheit, was jemals war.
Größer
Dichten einmal.
Ich glaube ein Gedicht. Ich glaube
Über, Schönheit was jemals
Und ich denke, dass so etwas sein wird
Arbeit.
Eine Einheit.
Durch Dich allein
Ist alles, was ist.
Schönheit, Schönheit, was jemals war.
Dann nirgends hin,
Bleib davon, bleib davon.
‚S‘ ist alles Kristall und Pracht.
Auch Leben selber.
Wo jetzt doch hin.
Aber, o, alles ist Arbeit,
Es darf, es darf.
Dann nicht mehr hoch
Dann nicht mehr niedrig.
Kein Schlechtes.
Kein Gutes.
Kein Übel.
Alles ist schön, und kämpft dafür.
In allem und mit allem.