Rede zum Antrag „Bildung eines Bewertungsausschusses“

Rede von Stadtrat Heiko Bär

 

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meine Damen und Herren Stadträte,
sehr geehrte Gäste,

zur Aufarbeitung eines Unrechtsstaates, wie dem der SED, gehört sowohl der souveräne Umgang mit Schuld, Reue und Vergebung, als auch der bewußte Umgang mit Schulduneisichtigkeit und demzufolge weiterer berechtigter Anklage und Kritik.

Die neuerliche Durchführung von Stasiüberprüfungen im Stadtrat und Einrichtung eines Bewertungsausschusses sind dafür in jeder Hinsicht ein gebotenes Instrument. Denn gerade ein solcher Ausschuß ermöglicht es, ganz individuell ernsthafte Einsichten, Reue und persönliche innere Veränderung als Basis einer Vergebung zu prüfen. Das ist der einzig gangbare Weg. Denn die Alternative einer pauschalen Verurteilung würde Aufklärung von Unrecht, Schuldeingeständnis, Umkehr, Neuorientierung, ja und letztlich mit dem Vergeben auch eine Versöhnung der Gesellschaft verhindern.

Ich weiß natürlich, daß Versöhnung aufgrund zahlreicher einschneidender Erlebnisse gesellschaftlich oft sehr schwer ist. Aber es gibt keinen anderen und richtigen Weg, als denen, die ihr individuelles Versagen aufrichtig quält und reut, und die um ernsthafte Vergebung ihrer Schuld bitten, eine neue Chance in unserer Gesellschaft zu geben.

Doch leider muß auch in Rahmen dieses individuellen, nicht pauschalisierten Umgangs mit dem Unrecht der Vergangenheit festgesellt werden, daß es noch viel zu oft zu Uneinsichtigkeit, Betonkopfverhalten, Beharren und sogar Verleugnung von Verbrechen durch ehemalige Stasi-Täter kommt. Und zwar nicht nur im Einzelfall, sondern mittlerweile systematisch, vereinigt und organisiert. Hier ist ganz klar politisch Kante zu zeigen. (Das kann und darf im politischen Raum übrigens nicht Aufgabe des Bewertungsausschusses sein, aber deshalb spreche ich es hier und jetzt an, weil es zum Gesamtthema dazugehört.)

Es ekelt einen regelrecht an, wenn man sich die Veröffentlichungen von einzelnen Vereinigungen und Organisationen anschaut, die mal mehr oder mal weniger neben anderen Zielstellungen auch eine Rehabilitierung der Stasi und des ganzen Unrechtsapparates der SED-Diktatur anstreben. Namentlich nenne ich hier die Vereine ISOR, GRH und GBM. In den Veröffentlichungen der drei liest man ständig von der „Verunglimpfung der DDR“, während der BRD gleichzeitig der freiheitlich-demokratische Charakter und die Rechtsstaatlichkeit abgesprochen wird. Es geht sogar soweit daß  „der Kriminalisierung einzelner Organe der DDR – besonders ihrer Schutz- Sicherheits- und Rechtspflegeorgane entgegenzutreten“ sei. Mit derartigen Verlautbarungen werden bis heute – bis heute (!!!) – die Opfer der Diktatur weiter verhöhnt und Menschenrechte weiter gebrochen. Dem muß man sich politisch entgegenstellen.

Leider hat das Thema noch einen sehr unappetietlichen Haken für unsere heutige Abstimmung:
Wer sich mal für die regelmäßigen Termine, Sprechstunden und Treffpunkte der von mir benannten Vereine hier in Leipzig mal interessieren sollte, der findet eine schöne Übersicht, und zwar gleich für alle drei, nämlich auf der Internetseite
www.die-linke-in-leipzig.de. Im Übrigen hat man es auch gar nicht so weit von der Geschäftsstelle der Linken in Leipzig aus, nämlich nur eine Bürotür weiter. Fast alles ist im Karl-Liebknecht-Haus untergebracht. Die ISOR tönt sogar stolz, daß die Linke der einzige verlässliche Vertreter ihrer Interessen ist. Und Leipziger Politgrößen der Linken sind umgekehrt auf Stasi-Renter-Veranstaltungen gern gesehene Gäste. Eine angebliche Aufarbeitung der schändlichen Geschichte würde anders aussehen. Vor diesem Hintergrund frage ich mich natürlich schon, ob die Ablehnung des vorgebrachten Antrags wirklich nur aus formaljuristische Details folgt, oder ob es nicht viel mehr um ganz klare Interessenpolitik geht. Interessenpolitik für die Täter, die endlich einen Schlußstrich unter die Debatte wollen.

Und weil ich am Anfang mal zum Thema Schuld gesprochen habe, gehört dazu auch immer, eigene Schuld nicht auszublenden: Wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, dann zeigen im Allgemeinen eben drei Finger auf einen zurück. Ich muß deshalb auch noch einmal vor der eigenen Haustür kehren. Vor dem Hintergrund der oben genannten Ausführungen ist es nämlich nicht weiter verwunderlich, daß es gerade im rot-roten Berlin oder rot-roten Brandenburg immer wieder zu Skandalen kommt, beispielsweise auch im Umgang mit den oben genannten Stasi-Vereinen und unter großem Protest von Stasi-Opfern.
Derartige politischen Konstelatinen sind und bleiben (!!!) deshalb ein Fußtritt gegen die Ideale der Revolution von 1989/90.

Und gerade im Sinne dieser Ideale möchte ich um breite Zustimmung zum vorgelegten gemeinsamen Antrag aller demokratischen Fraktionen dieses Hauses bitten.

Herzlichen Dank.