Redner: Helmut Voß

Es gilt das gesprochene Wort!

Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,

kürzlich sagte ein Bekannter zu mir: “Ich habe bei der letzten Wahl meine Stimme abgegeben, jetzt habe ich keine mehr, zumindest keine, die man hört.” Wir haben die Drucksache ‚Lokale Demokratiebilanz’ auf dem Tisch und sollen einem Projekt zustimmen, das den gegenwärtigen Stand der Bürgerbeteiligung in unserer Stadt untersuchen wird. Beim Lesen der Grundsätze fand ich solche bemerkenswerten Sätze wie, ich zitiere: Die Verwaltung soll in ihrem gesamten Handeln darauf ausgerichtet sein, für die Bürgerinnen und Bürger von Vorteil und Nutzen zu sein. Oder: Die Verwaltung soll optimal auf die zeitlichen, räumlichen und sachlichen Bedürfnisse und Bedarfe der Bürgerinnen und Bürger eingehen! Ich habe bisher geglaubt, dies sei die selbstverständlichste Sache der Welt und wollte die Vorlage mit einem ironischen Lächeln beiseite schieben. Doch dann kam ich ins Grübeln. Leben wir doch, nach unserer Überzeugung, in dem besten politischen System das es gibt, in dem System, in dem das Volk herrscht. Oder gibt es tatsächlich noch Defizite? Auch in einer demokratischen Ordnung wird einer kleinen Minderheit Macht übertragen. Durch eine Auswahl, durch persönliches Vertrauen begründet und von der Hoffnung begleitet, die Auserwählten werden mit dieser, zeitlich begrenzten, geliehenen Macht, verantwortlich und sorgsam umgehen. Diese kleinen Minderheiten spalten sich nun in die Exekutive und in die legislative Macht auf. Im Licht stehen dann die Führer, die Richtunggeber, die Verantwortlichen, die Bush, Blair, Schröder, Merkel, Tiefensee. In ihnen personalisiert sich die Befindlichkeit des Volkes. Der legislativen Gruppe der Erwählten ist aufgetragen, die Macht zu kontrollieren, sie notfalls zu stoppen oder in eine andere Richtung zu dirigieren. Und die Bürger, die Wähler, die Masse, sie schaut zu, schimpft an den Stammtisch und droht beim nächsten Mal mit anderer Wahlentscheidung. Verlassen wir jetzt die hohe Ebene und schauen wir auf diese Stadt. Leipzig befindet sich mit elf anderen Gemeinden in einem Netzwerkzyklus, oder sagen wir schlicht in einer Untersuchungsreihe, wie gut oder schlecht denn mit den Anliegen der Bürger umgegangen wird. Im Visier sind dabei natürlich auch die Ämter der Verwaltung, dort wo es um die Genehmigung, den Stempel geht. Sind die Leute aufgeblasen oder freundlich, sind sie kompetent oder nur eingebildet, dienen sie der Bürgerschaft mit Hingabe oder leben sie im Bewusstsein ihrer ganz speziellen Machtfülle? Es geht hier nicht um eine arrogante Verurteilung der Verwaltung, sondern es geht um die vielleicht notwendige Verbesserung im Alltagsablauf unser aller Lebensumstände. Wir sollen heute grünes Licht geben für eine Bürgerbefragung, für eine Inventur der Befindlichkeiten der Bürger dieser Stadt. Im Anhang befindet sich der Entwurf eines Fragebogens, der ausgefüllt von den Betroffenen darüber Aufschluss geben soll, wie zufrieden ich mit meiner Stadtregierung bin? Dabei kann man bei manchen Fragestellungen durchaus geteilter Meinung sein. Nun geht es natürlich nicht nur um die Verwaltung und ihre Spitze, sondern auch um die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde. Ihr Engagement, ihre Einsatzfreudigkeit und vielleicht auch ihre Zivilcourage sind die Grundlage, die Basis, für das Funktionieren eines Gemeinwesens. Haben wir genug dieser Spezies? Haben wir zu viel Kritiker und Besserwisser, die alles Handeln nur aus der Perspektive des eigenen Geldbeutels beurteilen? In einer Diktatur sagt einer wo es langgeht und was dann alle als gut anzusehen haben. In einer Volksherrschaft soll die Mehrheit für die bestmögliche Entscheidung sorgen, dabei dürfen aber die Minderheiten nicht vergessen werden. Ein Wesensmerkmal der Demokratie ist die weitgehend gerechte Behandlung aller Bürger. Dabei glauben wir zunehmend, es müsste alles bis ins letzte Detail reguliert werden, für jede Handlung eine Vorschrift. Mündige Bürger verstehen sich jedoch als freie, in eigener Verantwortung agierende Menschen. Die Bürgerschaft in der Offensive! Das bedeutet für die Politiker die Rückbesinnung auf ihr Wahlprogramm, für die Verwaltung das zügige Abarbeiten von Anträgen mit einem freundlichen Lächeln und für uns alle mehr Verantwortung für das Ganze!

Nun, Bürger, ran an die Inventur! Die SPD-Fraktion wird der Vorlage zustimmen.