Schlagwortarchiv für: Gedenken

Redner: Christopher Zenker, Fraktionsvorsitzender
Es gilt das gesprochen Wort!
Christopher Zenker
Christopher Zenker

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die AfD fordert in ihrem Antrag ein „würdiges Gedenken an die deutsche Reichsgründung 1871“. Wie sie dies umgesetzt wissen will, lässt sie zwar offen, wird aber nicht müde, die Errungenschaften des Kaiserreichs zu betonen. Mich beschleicht nur das dumpfe Gefühl, dass sie bei der Einreichung des Antrags immer noch beeindruckt waren von den Reichskriegsflaggen bei der zum Glück letztendlich vehinderten Erstürmung des Bundestages durch ihre ideologischen Unterstützer:innen und es ihnen letztendlich nur darum geht, dass vor dem Rathaus die Reichflagge gehisst wird. Soweit vorab, ein unreflektiertes Geschichtsverklärendes Gedenken wird es mit uns nicht geben.

Ich möchte nicht in Abrede stellen, dass die Gründung des Deutschen Reiches 1871 selbstverständlich eine Zäsur in unserer nationalen wie auch regionalen und lokalen Geschichte darstellte; dass sie natürlich auch verbunden war mit wegweisenden Neuerungen in Wissenschaft, Technik und anderen Bereichen, wie dies auch ausdrücklich im Verwaltungsstandpunkt noch einmal dargelegt wird.

Nichtsdestotrotz sollten wir hier aber nicht außen vorlassen, dass das Deutsche Reich aus drei blutigen Kriegen – 1864, 1866 und nicht zuletzt 1870/71 – hervorging, und mit seinem Weltmachtstreben, seinem vollkommen übersteigerten Nationalismus und seiner regelrechten Kriegseuphorie den ersten Weltkrieg maßgeblich mitverantwortete und dadurch zahllose Menschen ins Unglück stürzte.

Einige Punkte aus Ihrem Antrag möchte ich deswegen nochmal kurz näher beleuchten:

  1. Sie schreiben, trotz seiner Gründung „von oben“ sei das Kaiserreich ein moderner Rechtsstaat mit einer modernen Verfassung gewesen.

Was die Verfassung des Kaiserreichs betrifft: Zum Einen wäre diese ohne den Entwurf der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 nicht denkbar gewesen – diese wiederum lehnte Bismarck aber ab –, zum anderen fußt unser bundesdeutsches Grundgesetz zurecht auf den Erfahrungen der Weimarer Verfassung von 1919, die die Republik und eben nicht wie 1871 die konstitutionelle Monarchie zur Staatsform etablierte. Es wäre hier also sinnstiftender, eine Linie von 1848/49 – 1919 – 1949 zu ziehen. Und machen wir uns nichts vor: Bismarck hätte den Parlamentarismus, den Sie in Ihrem Antrag loben, doch am liebsten mithilfe desselben wieder abgeschafft.

2. Gelobt wird ferner das Wahlrecht, auch, „wenn es auch zunächst nur für Männer galt“.

Im Vergleich zum vorherigen Drei-Stände-Wahlrecht war das Wahlrecht 1871 sicherlich fortschrittlich. Es war aber eben trotzdem nur für die halbe Gesellschaft gedacht, denn es galt eben nicht nur „zunächst“ nur für Männer, sondern ausschließlich – und das bis zum Ende des Kaiserreichs. Das Frauenwahlrecht wurde u.a. durch die europäische Suffragettenbewegung mühevoll erkämpft, erst Ende 1918 schlussendlich durchgesetzt und in der Weimarer Verfassung verankert.

3. Bismarck wird uns hier als arbeitnehmerfreundlicher Menschenfreund verkauft, seine Bekämpfung des pluralistischen Parteiensystems aber geflissentlich ignoriert.

Ich möchte hier nicht in Abrede stellen, dass die damalige Sozialgesetzgebung Voraussetzung für unser heutiges Sozialversicherungswesen ist. Insbesondere als Sozialdemokrat kann ich hier das Bild vom „Arbeiterfreund“ Bismarck so aber nicht stehen lassen. Immerhin ging es bei der Sozialgesetzgebung einzig und allein darum, das Machtmonopol des Staates zu stärken und die Bevölkerung weg von den Parteien zu bringen. Warum sonst arbeitete sich Bismarck zunächst an linken Arbeiterbewegungen ab, erließ das Sozialistengesetz und setzte sich nach seiner Kampagne gegen die Sozialdemokraten plötzlich für Arbeitnehmerrechte ein? Das Ganze finden Sie übrigens in jedem gängigen Geschichtsbuch unter dem Begriffspaar „Zuckerbrot und Peitsche“, falls Sie es nochmal nachschlagen wollen. Es macht also wenig Sinn, hier nur die halbe Geschichte zu erzählen.

4. Und zu guter Letzt die „Blütezeit im Handel“.

Was meinen Sie damit? Hoffentlich nicht die sogenannten „Entdeckungsfahrten“, die Kolonialisierung und damit verbundene Unterwerfung, Ausbeutung und Zurschaustellung von Menschen aus Übersee?

Die AfD täte gut daran, sich stärker mit der Demokratiegeschichte unseres Landes auseinanderzusetzen, statt rückwärtsgewandt auf großdeutsche Machtphantasien à la Kaiserreich zurückzublicken.

Natürlich kann man der Gründung des Kaiserreichs gedenken – aber bitte in Form einer kritischen Auseinandersetzung mit Militarismus, Nationalismus und Kolonialismus.

Wir schließen uns deswegen dem Verwaltungsstandpunkt an. Uns ist vor allem daran gelegen, den ambivalenten Charakter der Reichsgründung herauszuarbeiten. Wir begrüßen dabei insbesondere die vorgeschlagene Zusammenarbeit mit Akteuren wie dem Institut Francais, um vor allem auch die europäische Dimension mit in die öffentliche Wahrnehmung einfließen zu lassen. Denn schließlich wurde das Deutsche Kaiserreich nach dem Sieg im deutsch-französischen Krieg im Spiegelsaal von Versailles ausgerufen. Natürlich: Ein Affront gegen Frankreich, der aber gleichzeitig die europäische Dimension dieses Ereignisses untermalt.

Um noch kurz auf den Änderungsantrag der CDU einzugehen: Ich bin der Auffassung, dass ihr Änderungsantrag vor allem als Ergänzung zum Verwaltungsstandpunkt Sinn machen würde, indem vor allem die demokratische Tradition, die unser heutiges Deutschland auch aus der für unsere Stadt so prägenden Friedlichen Revolution zieht. Meine Fraktion würde vor diesem Hintergrund ihrem Vorschlag folgen wollen, wenn er denn als Ergänzung des Verwaltungsstandpunktes für Sie denkbar wäre.

Und erlauben Sie mir zum Schluss noch eine kurze Bemerkung, insbesondere an die Kollegen der AfD-Fraktion: Es war natürlich nicht alles schlecht im Kaiserreich – die Einführung der Pflicht zur Impfung gegen Pocken zum Beispiel rettet bis heute Leben.

Beschlussvorschlag:

Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die historischen Orte an denen 1933 in Leipzig Bücherverbrennungen stattfanden (bspw. Volkshaus und Am Sportforum) im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Das Kulturamt erarbeitet in Kooperation mit dem stadtgeschichtlichen Museum einen Vorschlag. Sollte dies nicht auf öffentlichen Flächen oder an öffentlichen Gebäuden möglich sein, nimmt die Stadtverwaltung mit den Eigentümern der Gebäude Kontakt auf. Die Finanzierung der Gedenktafeln bzw. anderen Formen der Erinnerung soll mittels Spenden realisiert werden. Die Einweihung soll am 10. Mai 2023, dem zentralem Gedenktag in Deutschland, oder alternativ im Umfeld der Buchmesse 2023 stattfinden.

Sachverhalt:

Auch in der Buchstadt Leipzig wurden nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Jahr 1933 Bücher missliebiger Autoren verbrannt. Anders als bei der reichsweiten, von der Deutschen Studentenschaft und der Hitler-Jugend organisierten Verbrennungsaktion am 10. Mai 1933 wurde in Leipzig bereits einige Tage zuvor, nach der Stürmung des Volkshauses durch die SA am 2. Mai, Teile der dortigen Bibliothek auf dem Hof des Volkshauses verbrannt. Am 10. Mai 1933 wurden dann auf dem Messplatz (heute Am Sportforum) weitere Bücher, die unter anderem auch der Stadtbibliothek kamen, verbrannt. Ziel der Nationalsozialisten war es, Bücher von Autoren zu vernichten, die aufgrund ihrer politischer Gesinnung und/oder ihrer jüdischen Abstammung nicht ins Weltbild des NS-Regimes passten. Zu ihnen gehörten unter anderem Anna Seghers, Kurt Tucholsky, Heinrich Mann und Thomas Mann sowie Joachim Ringelnatz, Erich Maria Remarque und Ludwig Renn. Die Bücherverbrennungen bildeten den Auftakt zur Verfolgung Andersdenkender und Menschen, die aufgrund verschiedener willkürlicher Maßstäbe als minderwertig eingestuft wurden. Anlässlich des 90 Jahrestags der konzertierten Bücherverbrennungen sollen 2023 an den historischen Orten im Leipziger Stadtgebiet Gedenktafeln an die Bücherverbrennungen erinnern.