Rede zum Antrag „Einführung einer Wirtschaftspolitischen Stunde in der Ratsversammlung“
Redner: Heiko Bär, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meine Damen und Herren Stadträte,
verehrte Gäste,
kurz vorweggenommen: der ablehnende Veraltungsstandpunkt zum Antrag ist alles andere als eine Glanzleistung. Und wie ausgerechnet das Dezernat Wirtschaft und Arbeit die Ablehnung einer Wirtschafts- und Beschäftigungspolitischen Stunde unterstützt und begründet, das ist schon bedenklich. Die SPD-Fraktion und der Fachausschuss Wirtschaft und Arbeit sind jedenfalls anderer Auffassung.
Wir alle wissen: Im Jahr 2020 wird der Solidarpakt II beendet sein. Bis dahin werden die Finanzzuweisungen an die ostdeutschen Bundesländer immer stärker heruntergefahren und damit zwangsläufig die Zuweisungen der ostdeutschen Bundesländer an ihre Kommunen. Wir werden im Gegensatz zu jetzt, dann hauptsächlich nur noch das Ausgeben können, was hier vor Ort selber verdient wird.
In der Stadt Leipzig ist deshalb folgerichtig immer wieder das Ziel einer selbsttragenden Wirtschaft bis 2020 ausgesprochen worden, das heißt insbesondere, eine Erhöhung der Gewerbesteuereinnahmen von 200 auf 400 Millionen Euro – pro Jahr. Dieses Ziel ist höchst ambitioniert! Es ist aber entscheidende Grundlage für die zukünftige Finanzierung unseres Gemeinwesens: Die dringend notwendigen Investitionen in unsere Bildungslandschaft (Schulen und Kindergärten), die Finanzierung unseres Straßennetzes, des sozialen Zusammenhaltes in unserer Stadt, unserer Kultureinrichtungen, unserer Sportanlagen, unserer Jugendhilfe, unserer Umweltprojekte, die Unterstützung von Vereinsarbeit und die Finanzierung der personellen Ausstattung einer leistungsfähigen Verwaltung.
All das hängt zum einen von unseren Grundsatzentscheidungen als Stadtrat ab – deshalb ist dieser Antrag für uns als Gremium so wichtig. Es hängt aber auch am strategischen Vordenken der Beteiligten im Wirtschaftsdezernat und im Amt für Wirtschaftsförderung, ihrer Überzeugungs-, Durchsetzungs- und Führungsstärke und ihrer Motivationsfähigkeit. Deshalb auch die Kritik am Verwaltungsstandpunkt. Die Auffassung „[sich] in jeder Ratsversammlung […] über Anfragen, Anträgen und Vorlagen mit diesen Themen auseinanderzusetzen“ müsse ausreichen, verkennt den grundlegenden Unterschied zwischen Tagesgeschäft und Einzelprojekten auf der einen Seite und dem konzeptionellen roten Faden auf der anderen Seite. Wir brauchen beides auch im Stadtrat! Deshalb ist der Antrag wichtig. Ob wir das Ziel einer selbsttragenden Wirtschaft im Jahr 2020 erreichen werden, weiß ich nicht. Aber eines weiß ich genau: Mit der Einstellung, wie sie aus dem Verwaltungsstandpunkt spricht, erreichen wir dieses ehrgeizige und wichtige Ziel auf jeden Fall nicht. Ein Anstieg unserer Gewerbesteuereinnahmen um 200 Millionen Euro jährlich bis 2020, das ist die strategische Herausforderung auf die wir bis heute zu wenige und zu ungenaue Antworten haben. Das ist die zukünftige Herausforderung an den Wirtschaftsbürgermeister!
Der Verwaltungsstandpunkt verkennt auch, dass das Wirtschaftsdezernat bisher auf die Durchsetzungsfähigkeit des Stadtrates angewiesen ist, weil es diese – warum auch immer – selber noch nicht ausreichend hat. Vor anderthalb Jahren haben wir mit unserer Clusterförderstrategie einen wichtigen strategischen Baustein beschlossen, jedoch nur als Papier mit Absichten, ohne jede personelle und finanzielle Untersetzung. Nur durch Eigeninitiative aus dem Stadtrat heraus konnte das beschlossene Clustermonitoring auch umgesetzt werden. Desgleichen die zwei neuen Stellen für Mitarbeiter für die Cluster „Energie und Umwelt“, „Automobil- und Zulieferindustrie“, sowie „Kultur- und Kreativwirtschaft“, die Sicherung der Kompetenzen für Fachkräfteanalysen und –gewinnung, die Einführung einer Tourismuskoordination für die touristische Infrastruktur unserer Stadt, usw. Alles nur durch erfolgreiche Anträge von Fraktionen und Stadträten! Wir brauchen die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Stunde für unseren eigenen Kompass, die Identifikation von Prioritäten und wenigstens noch den Erhalt unserer Durchsetzungsfähigkeit für wirtschafts- und beschäftigungspolitische Prioritäten.
Letzter Aspekt: Es geht im vorgelegten Antrag um eine reine Stadtratsangelegenheit. Ein Verwaltungsstandpunkt wäre überhaupt nicht nötig, genauso wie wir auch nicht in die Organisationshoheit des Oberbürgermeisters eingreifen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.