Rede zur Petition zur Umbenennung des südwestlichen Teils des Innenstadtrings von „Martin-Luther-Ring“ in „Martin-Sonneborn-Ring“ in der Ratsversammlung am 21. Juni 2017
Rednerin: Nicole Wohlfarth, Stadträtin der SPD-Fraktion
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herrn,
werte Kollegen,
die Petition bezeichnet Martin Luther als Theologen, „dessen Wirken großen Einfluss auf das Entstehen des Antisemitismus“ hatte und der Martin-Luther-Ring seinen Namen kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erhalten habe. Unter Bezug auf Luthers spätes Werk „Von den Juden und ihren Lügen“ von 1543 äußert der Petent diese einseitige Meinung. Was hier vergessen wird, ist dass der Theologe Martin Luther sich durchaus entwickelt hat, auch wenn leider etwas anders als wir es uns heute wünschen würden.
In seiner Frühzeit war Martin Luther in seinen Forderungen für seine Zeit fast revolutionär. In seiner Schrift „Daß Jesus geborener Jude sei“ von 1523 forderte er für seine Zeitgenossen unerhörte Rechte für Juden:
- Zulassung der Juden zu allen Berufen,
- Ermöglichung des ungehinderten Zusammenlebens zwischen Juden und Christen,
- ebenso die Ehe zwischen Juden und Christen,
- keine weitere Ausgrenzung der Juden und
- Aufhebung verhängter Berufsverbote.
Zudem erhob er Widerspruch gegen die weit verbreiteten Ritualmordlügen, laut derer Juden kleine Kinder essen und Hostien schänden würden.
Demgegenüber hatte der katholische Theologe Johannes Eck die Juden verurteilte, weil sie Jesus an‘s Kreuz geschlagen haben. Nur in Nuancen anders äußerte sich der bekannte Humanist Erasmus von Rotterdam. AIso: Böser Luther – gute Humanisten? Oder böse Humanisten – guter Luther?
Weder noch! Die Idee des religiösen Pluralismus – das sehen wir an den Konflikten des 30-jährigen Krieges ebenso wie am jahrelangen Konflikt in Nordirland – ist Luther und seinen Zeitgenossen fern. In Gesellschaften, die nach Homogenität streben, dient Religion oft als Deckmantel für tiefer liegende Konflikte.
Dass Luthers späte Aussagen für uns merkwürdig und befremdlich sind, steht außer Frage. Dass mit seinen Aussagen eine Rassenideologie entwickelt werden würde, konnte Luther nicht ahnen. Er kann daher auch nicht dafür in Haftung genommen werden. Sowohl die Deutschen Christen als auch nationalsozialistische innerkirchliche Bewegung beriefen sich genauso auf Luther wie der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer.
Luther ist genauso wenig Antisemit wie Thomas Müntzer Vorkämpfer einer sozialistischen Bauernerhebung gewesen ist, wie es vor ca. 30 Jahren gedeutet wurde. Luther ist vor allem Theologe seiner Zeit. Die kritische Auseinandersetzung mit den Schriften Luthers ist richtig und wichtig. Sie nützen uns als demokratische und reflektierte Gesellschaft. Ein Verbot diskussionswürdiger Äußerungen und Personen aufgrund einseitiger Bewertungen sind hier kontraproduktiv.
Werte Kollegen, ich kann Sie nur dann bitten, dem Beschlussvorschlag des Petitionsausschusses zu folgen.
Vielen Dank!