Anfrage an den Oberbürgermeister
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
infolge des Neonazi-Aufmarsches am 1. Mai 2005 in Leipzig kam es zu erheblichen Krawallen, Ausschreitungen und Verletzungen von Personen. Dadurch geriet die Stadt bundesweit erneut in negative Schlagzeilen, statt durch Bachfest, Courage-Konzert und friedliche Maidemonstrationen auf sich aufmerksam machen zu können. Eine nachhaltige Schädigung des Ansehens unserer Stadt bei vielen Besuchern und Bürgern ist zu befürchten.
Das Vorgehen einiger Polizeikräfte war nach Ansicht vieler friedlicher Demonstranten bei einigen Aktionen zweifelhaft. Während Polizisten die Neonazis u.a. mit Wasserwerfern und Reiterstaffeln abschirmte, gelang es nicht, die friedlichen Demonstranten auf dem Augustusplatz vor Flaschenwerfern zu schützen. Stattdessen wurde mit massiven Polizeikräften die Kreuzung teilweise geräumt, was ein zunehmendes Chaos und Krawalle zur Folge hatte. Erst als Personen verletzt wurden, Sachbeschädigungen zu verzeichnen waren, Rauchbomben und Barrikaden brannten, wurde der Aufmarsch der Neonazis durch die Ordnungskräfte gestoppt.
Der Innenausschuss des sächsischen Landtages muss und wird sich ausführlich mit diesen Vorfällen beschäftigen, was wir begrüßen.
Während die Stadt die von den Neonazis geplante Aufmarschstrecke Richtung Connewitz vor allem aus Sicherheitsgründen nicht genehmigte, erkannten die zuständigen Richter der Verwaltungsgerichte keine besondere Sicherheitsgefahr und gaben den Neonazis grünes Licht. Diese Entscheidung wurde – außer vom sächsischen Innen- und Justizministerminister – von Politikern, Journalisten und Bürgern als nicht nachvollziehbar empfunden und hat wiederum die Rechte der Leipzigerinnen und Leipziger und vieler Gäste unserer Stadt an diesem Tag erheblich eingeschränkt und die Sicherheit massiv beeinträchtigt. Die Demonstrationsfreiheit ist in unserem Land unbestritten ein hohes Gut. Wenn sie aber durch Neonazis ständig missbraucht wird, sollten zuständige Richter den Mut haben, dies auch in ihre Entscheidungen einfließen zu lassen.
Der Gesetzgeber in Berlin ist inzwischen tätig geworden und lässt einen Aufmarsch von Neonazis am 8. Mai durch das Brandenburger Tor verbieten. Stattdessen soll den Rechtsradikalen eine Ausweichstrecke zugewiesen werden. In Sachsen sieht der Freistaat als zuständiger Gesetzgeber bisher keine Notwendigkeit, schützenswerte Objekte und Plätze auszuweisen.
Wir fragen daher an:
- Welche Begründung haben die zuständigen Gerichte angeführt, als sie die Streckenführung der Neonazis genehmigten? Wie beurteilt die Stadt diese Begründung? Welche Erkenntnisse zieht die Stadt aus den Ausschreitungen am 1. Mai und hat die Stadt Hoffnung, dass die Gerichte in Zukunft zu einer anderen Einschätzung kommen werden?
- Welche gesetzgeberischen Möglichkeiten beim Freistaat sieht die Stadt, um den Neonazis künftig auch in Leipzig eine Streckenführung aufzuerlegen, die kein erhöhtes Sicherheitsrisiko und keine besondere Provokation darstellen? Welche Initiativen und Zuarbeiten hat die Stadt in dieser Hinsicht ergriffen bzw. wird sie künftig ergreifen?
- Welche Einschränkungen des öffentlichen Lebens (inklusive Individualverkehr und ÖPNV) waren für die Bürgerinnen und Bürger am 1. Mai in Leipzig infolge des Neonazi-Aufmarsches insgesamt festzustellen?