Reden und Texte der SPD-Fraktionsmitglieder innerhalb der Ratsversammlung zu ausgewählten Themen

Redner: Christopher Zenker, Fraktionsvorsitzender

Christopher Zenker
Christopher Zenker

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
werte Gäste,

wir haben heute gleich mehrere wichtige Vorlagen zur Weiterentwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs und der öffentlichen Daseinsvorsorge durch unsere kommunalen Unternehmen in Leipzig auf der Tagesordnung. Allen voran, die LVB profitieren von diesen Beschlüssen. Ich möchte in der Folge auf die Vorlagen zum Liniennetz der Zukunft, zur ÖPNV-Finanzierung und zur Sicherung der Leistungs- und Investitionsfähigkeit der LVV eingehen.

Dass es notwendig ist, den ÖPNV zu stärken und auszubauen, wenn wir auch zukünftig in unserer Stadt möglichst reibungslos unterwegs sein wollen, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die Verkehrswende ist eine der zentralen Aufgaben für uns.

Dazu gehört es eben auch, nicht allein die Leistungen bei den LVB zu bestellen, sondern auch für deren Finanzierung aufzukommen, auch wenn wir hoffen, dass sich Bund und Land zukünftig stärker an dieser Herausforderung beteiligen. In diesem Zusammenhang haben wir es nun mit einer Vorlage zur Anpassung der ÖPNV-Finanzierung zu tun. Das heißt konkret: In diesem Jahr benötigen die Verkehrsbetriebe statt der im Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag vereinbarten 70 Millionen Euro 71,7 Millionen, die allerdings in diesem Jahr durch das starke Ergebnis der Stadtwerke noch durch die LVV abgesichert werden können. Zum anderen sollen nicht verbrauchte Mittel, mit denen die Stadt die Leipzig-Pass-Mobilcard stützt, nicht an die Stadt zurückfließen, um damit finanzielle Schäden aus der Corona-Pandemie auszugleichen, die der Freistaat mit seinem ÖPNV-Rettungsschirm nicht abgedeckt hat. Das kostet die Stadt dann rund 1,9 Millionen Euro. Wir werden dieser Vorlage und dem Änderungsantrag der Linken zustimmen.

Die zweite Vorlage im Bunde ist jene zur Sicherung der Leistungs- und Investitionsfähigkeit der Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (LVV). Wir hatten dazu im Herbst vergangenen Jahres einen Grundsatzbeschluss gefasst, der eine Auszahlung der avisierten 15 Millionen Euro für 2023 und 2024, die direkt an die LVB fließen sollen, ermöglichen sollte, wenn wir 1. im Doppelhaushalt Mittel dafür binden und 2. wenn ein testierter Nachweis vorliegt, dass diese Gelder notwendig sind, um Mindereinnahmen oder Mehraufwendungen in Folge des Tarifmoratoriums und der Pandemie auszugleichen. Die notwendigen Voraussetzungen für die Zahlungen liegen vor und wir tun gut daran, hier mitzuziehen, denn sonst würden die LVB und mit ihr die LVV in eine nicht unerhebliche Schieflage geraten. Wir werden der Vorlage zustimmen.

Damit lasse ich den rein finanziellen Aspekt hinter mir und wende mich dem Liniennetz der Zukunft zu, denn ohne unsere Beschlüsse zu den finanziellen Ausgleichen dürfte aus einem zukunftsorientierten Liniennetz nichts werden.

Aber kommen wir zum Liniennetz: Es ist von essenzieller Bedeutung, das Liniennetz unseres ÖPNV an die sich wandelnden Bedürfnisse anzupassen. Wollen wir die Verkehrswende schaffen, dann müssen wir mehr Menschen unter anderem dazu bewegen, den ÖPNV stärker zu nutzen. Vielleicht kommen wir so an den Punkt, dass der eine oder die andere mehr das private Auto abschafft, weil es ein unnötiger Kostenfaktor und lediglich noch ein Parkplatzsuchgerät ist, das die eigene innerstädtische Mobilität nicht entscheidend verbessert.

Eine zukunftsorientierte Planung besteht aus einem Mix aus besseren Taktzeiten, besserer Erschließung der Randgebiete und auch notwendigen Erweiterungen bestehender Strecken sowie – das gehört zwar nicht direkt zum Liniennetz, ist aber eines der Dauerthemen meiner Fraktion – die Integration innovativer Mobilitätslösungen, Stichwort Mobilitätspunkte (sie wissen schon 400 bis 2030, Herr Dienberg).

Die Vorlage zum Liniennetz bietet hier eine ganze Reihe von Verbesserungen, die in den nächsten Jahren Wirklichkeit werden sollen. Das ist sehr erfreulich, denn darunter sind viele Themen, die wir regelmäßig ansprechen, wie die bessere Anbindung der Ränder unserer Stadt an den ÖPNV. Flexa soll beispielsweise im Südosten unserer Stadt weiter nach Norden, nach Engelsdorf und Sommerfeld, ausgedehnt werden. Allerdings sind einige Gebiete immer noch von Flexa abgehangen, hier bleiben wir dran und hoffen auch deshalb auf bessere Finanzierungsstrukturen, schließlich wollen wir nicht, dass beispielsweise die Flexa-Fahrzeuge nur nach Liebertwolkwitz fahren, um dort aufgeladen zu werden, denn Fahrgäste dürfen da nicht mitfahren.

Positiv ist auf jeden Fall, dass die Stadtbezirksbeiräte und Ortschaftsräte eine Möglichkeit bekommen haben, die Themen zu benennen, die aus ihrer Sicht bei der Überarbeitung des Liniennetzes in Betracht gezogen werden sollten. Es konnten freilich nicht alle Themen davon berücksichtigt werden, aber es ist ein Fortschritt, dass die örtlichen Belange kommuniziert wurden und u.a. im Rahmen der Überarbeitung des Buskonzepts Eingang in die Planungen des ÖPNV finden können.

Für den Bereich Grünau machen wir den Vorschlag, mit der Linie 62 mittels eines Durchstichs und einer Linienführung von der Selliner bis zur Krakauer Straße eine bessere Anbindung des Wohnkomplexes 8 zu erreichen und gleichzeitig der Bedeutung des Bereichs um das Gesundheitszentrum herum, die mit dem Bau des dritten Ärztehauses noch zunehmen wird, gerecht zu werden. Ich freue mich, dass die Verwaltung diesen Änderungsantrag übernommen hat.

Alle drei Vorlagen zeigen, wir stehen zur LVB als zentrales Unternehmen der kommunalen Verkehrswende. Wir müssen jedoch auch darauf achten, dass uns die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Denn eine Verkehrswende muss auch finanziert werden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Engagement für die Zukunft unserer Stadt.

Rednerin: Christina März, Stadträtin

Christina März

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
verehrte Stadträtinnen und Stadträte,
werte Gäste,

2018 ist in Deutschland die sogenannte Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, in Kraft getreten. Damit verpflichtet sich Deutschland auf allen staatlichen Ebenen alles dafür zu tun, dass Gewalt gegen Frauen bekämpft, Betroffenen Schutz und Unterstützung geboten und Gewalt verhindert wird. Für die Umsetzung der Istanbul-Konvention trägt auch die Stadt Leipzig die Verantwortung.  Hier in Leipzig belegen die Zahlen der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS), dass für die steigende Nachfrage nach Beratung und Schutz das Beratungsangebot und Unterbringungsangebot weiter ausgebaut werden muss. Laut KIS mussten von Januar bis Juni dieses Jahres fast 170 Frauen und über 150 dazugehörige Kinder in der Sofortaufnahme abgewiesen werden.  Über 240 Personen konnten nicht telefonisch beraten werden. Jeder abgewiesene Hilferuf – sei er telefonisch oder persönlich – ist einer zu viel.

Es braucht mehr Personal, zum einen um die erhöhte Anzahl der Hilferufe abzudecken, aber auch um das bisherige Personal, das sehr gut ausgelastet ist und zu viele Anfragen abweisen musste, langfristig zu entlasten. Deshalb muss der kontinuierliche Ausbau der Personalstellen auch im kommenden Doppelhaushalt integriert werden.

Aber auch die Zusammenarbeit mit der Wohnraumversorgung des Sozialamtes muss intensiviert werden, damit die Frauen zeitnah wieder ein selbstbestimmtes Leben führen können und die Zentrale Sofortaufnahme der Frauenhäuser zügig frei werden, für jene Frauen und Kinder, die ebenfalls aus Selbstschutz ihr zuhause verlassen müssen.

Gegenüber dem Freistaat Sachsen muss sich der Oberbürgermeister für ein gemeinsames Modellprojekt einsetzen, um die Kapazitäten entsprechend der Nachfrage auszubauen – und diese ist hoch, wie ich bereits ausgeführt habe. Auch braucht es eine stärkere finanzielle Beteiligung des Landes und des Bundes, um geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt adäquat begegnen zu können – auch dafür muss sich der Oberbürgermeister in Dresden und Berlin stark machen.

Denn zu wenig finanzielle Unterstützung für die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking und die Zentrale Sofortaufnahme der Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen hier in Leipzig bedeuten im Umkehrschluss auch, dass mehr Frauen in Gewaltbeziehungen bleiben oder zurückkehren müssen, weil Ressourcen fehlen, sie zu unterstützen. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.

Redner: Christopher Zenker, Vorsitzender der SPD-Fraktion

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,

als ich während meiner Jugend eine Wohnung gesucht habe, konnte ich mir die Vermieterin bzw. den Vermieter raussuchen. Heute bewerben sich teilweise 100derte Interessentinnen und Interessenten auf eine Wohnung. Dies und auch die rasant steigenden Mieten – 32 Prozent seit 2018 – zeigen deutlich: unser Wohnungsmarkt ist angespannt. Dies thematisieren wir seit vielen Jahren in steter Regelmäßigkeit. Vor allem sind es Geringverdiener, die besonders schlechte Chancen auf den Mietwohnungsmarkt in Leipzig haben. Eine Gruppe davon sind oft auch die Auszubildenden. Die meisten von ihnen erhalten während der Ausbildungsjahre nur ein schmales Salär. Aber diese oft geringe Ausbildungsvergütung führt zwangsweise dazu, dass junge Menschen, die bei uns in Leipzig ihre Ausbildung machen, ein Problem haben, eine bezahlbare Unterkunft zu finden.

In Leipzig gibt es unseres Wissens nach nur ein Wohnheim für Auszubildende, das vor allem für Schülerinnen und Schüler der Gutenberg-Schule vorgesehen ist. Darüber hinaus haben einige private Anbieter von Berufsschulen Azubi-Wohnungen geschaffen. Der Bedarf ist allerdings ungleich größer. Im Gegensatz dazu gibt es zahlreiche Wohnheime für Studierende. In unserer Ursprungsfassung wollten wir ein Azubi-Wohnheim in der Gerberstraße etablieren, wo die LWB gerade einen großen Block saniert hat. Dort möchte die LWB die Appartments auch an Auszubildende vermieten, aber eben kein Wohnheim schaffen.

Christopher Zenker
Christopher Zenker

Wir finden das bedauerlich, denn der Zuschnitt der kleinen Wohnungen wäre geradezu prädestiniert gewesen und es wäre eine schnelle Lösung gewesen.

Leider hat die Verwaltung viel zu spät den Bedarf erkannt und scheint sich erst seit unserem Antrag mit dem Thema Azubi-Wohnen zu beschäftigen und das, obwohl seit März das Bundesförderprogramm „Junges Wohnen“, das auch Azubi-Wohnen fördern soll, vorliegt. Im Freistaat wurden diese Mittel ausschließlich für Studierenden-Wohnen verwendet, auch weil Leipzig bisher keinen Bedarf angemeldet hat. Der Verwaltungsstandpunkt zeigt uns, dass man erst jetzt mit der Datenerhebung beginnt, obwohl fehlender Wohnraum für Auszubildende, gerade auch für Unternehmen, ein großes Problem darstellt und Stellen deswegen nicht besetzt werden können. Das schwächt den Wirtschaftsstandort Leipzig. Städte wie München oder Hamburg haben deshalb, analog zu den Studierendenwerken, auch Azubiwerke geschaffen. Dies sollten wir ebenfalls prüfen. Alles mit dem Ziel: Bezahlbares Wohnen für Auszubildende.

Zudem wissen wir, dass auch Kammern, Unternehmen und Gewerkschaften an dem Thema Azubi-Wohnen arbeiten, wie die Briefe zeigen, die Sie sicher auch bekommen haben. Wir wollen daher, dass Sie in die Konzeptionen eingebunden werden. Das wird wieder länger dauern und deshalb setzen wir hierfür klare Fristen.

Ein Punkt, der uns neben der Azubi-Wohnen wichtig war, ist das Thema Gewährleistungswohnungen, von denen dringend weitere benötigt werden und die auch schon in unserem Ursprungsantrag einen Platz hatten. Hier haben wir auf den VSP zurückgegriffen, den wir allerdings so geändert haben, dass das Ganze etwas mehr Verbindlichkeit bekommt, denn prüfen kann man vieles und das auch ganz lange, aber wir wollen in der Sache tatsächlich vorankommen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserer neuesten Neufassung, die auch die Änderungen der Linken aufgenommen hat, um etwas Zeit bei der Abstimmung zu sparen.

Rednerin: Anja Feichtinger, Stellv. Vorsitzende der SPD-Fraktion

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren Stadträte, werte Gäste!

Die SPD-Fraktion begrüßt den Vorschlag der Verwaltung, die Zeitschienen zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie zu präzisieren. Wir hoffen, dass die genannten Umsetzungszeitpunkte nunmehr realistisch und belastbar sind.

Anja Feichtinger

Die notwendige Beschleunigung der LVB-Maßnahmen auf zahlreichen Hauptachsen soll garantieren, dass die bestellten neuen Straßenbahnen – mit größerer Breite und somit größerem Volumen für Fahrgäste – auch auf die Schiene gestellt werden und umgehend losfahren können. Mit den neuen Bahnen verbessert sich der Komfort für die Nutzer und Nutzerinnen und wir hoffen, dass die neuen Bahnen dann z.B. auch über Wlan verfügen, wie vor zwei Jahren von der Verwaltung angekündigt.

Wichtig ist uns, dass trotz beschleunigtem Verfahren – Stichwort: Fokusprojekte – die örtlichen Vertreter in den Stadtbezirksbeiräten, wie auch wir Stadträte im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau bzw. im zeitweilig beratenden Ausschuss Verkehr gehört und beteiligt werden. Die Planungsphase 0 möchten wir daher mit einer Protokollnotiz festhalten, wie mit Bürgermeister Dienberg und dem Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes, Herrn Jana, besprochen. Letztendlich muss es ja auch im Sinne der Stadtverwaltung sein, dass ihre Komplexmaßnahmen im Bereich Verkehr, eine möglichst hohe Akzeptanz in der Stadtgesellschaft und speziell bei den betroffenen Bürgern vor Ort erhalten.

Die Änderungsanträge wurden gestern im FA S+B und gerade von Herrn Dienberg aus unserer Sicht nachvollziehbar analysiert und unsere Fraktion wird den Verwaltungsstandpunkten hier folgen. Der Vorlage wird die SPD-Fraktion zustimmen.

Rednerin: Christina März, Stadträtin

Christina März

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Frau Kulturbürgermeisterin Dr. Jennicke,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
werte Gäste,

Unsere Stadt hat eine reiche historische und kulturgeschichtliche Tradition, die die Identität Leipzigs bis heute prägt. Würde ich hier eine kleine Umfrage starten, dann würden wir wahrscheinlich einige historische Ereignisse und Persönlichkeiten sehr häufig hören, so z.B. die Friedliche Revolution, die Völkerschlacht, Johann Sebastian Bach, Robert Schumann und vieles mehr. Als Sozialdemokratin wäre natürlich in meiner Top Ten auch die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins im Jahre 1863.  

Das Erinnerungspolitische Konzept ist nun ein erster Rahmen, der es ermöglichen soll, an mannigfaltige Ereignisse zu erinnern. Dies aber ohne, dass die Stadtverwaltung in einem engen Korsett selbst überall in der organisatorischen Verantwortung steht. Im Gegenteil – wir wollen auch die ehrenamtlichen Vereine stärken, die bereits auf diesen Feld unterwegs sind.

Und was mir besonders wichtig ist: Wir wollen vor allem den Kanon der Ereignisse und Persönlichkeiten, an die in dieser Stadtgesellschaft erinnert wird, vergrößern. Vergessene Persönlichkeiten – leider oftmals Frauen – und historische Ereignisse oder Begebenheiten der Alltagsgeschichte sollen auch einen Platz finden, um auch ein vielfältiges und damit vor allem ein realistisches Bild unserer Geschichte zu zeigen. 

Aus unserer Sicht ist es nicht sinnvoll, Jahrestage, Gedenkprogramme und vor allem die Formen des Erinnerns auf Ewigkeiten in Stein zu meißeln. Es soll kein ritualisiertes Gedenken entstehen, das irgendwann allenfalls eine leere Hülle ist und die Menschen nicht mehr abholt. Wir wollen aber auch keine Disneysierung unseres Gedenkens und Erinnerns, weshalb ich die Ansätze im Konzept begrüße, wenn es darum geht, Beteiligungsverfahren zu etablieren und wissenschaftliche Expertise einzuholen. Es ist der richtige Weg, sich immer wieder zu hinterfragen, ob die Art des Gedenkens noch die ist, die die Menschen anspricht.

Für das Erinnern ist es wichtig, die Zielgruppen zu erkennen, an die sich die verschiedenen Teile der Leipziger Erinnerungskultur richten. Warum das so ist, zeigten unter anderem die Diskussionen beim ersten Anlauf für das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig. Es gab damals kritische Stimmen von Menschen, die den Herbst 1989 miterlebt haben, weil sie den Ort, also den Leuschner-Platz, für genauso unpassend hielten wie die Art des Denkmals. Aus Sicht der Zeitzeugen ist das durchaus nachvollziehbar. Aber wer sind die Adressaten dieses Gedenkens? Aus meiner Perspektive sind es vor allem jene Menschen, die diese Zeit nicht selbst miterlebt haben, weil sie schlicht zu jung oder noch nicht geboren waren. Ihnen muss nahegebracht werden, weshalb der Herbst `89 und die Friedliche Revolution ein integraler Teil der Identität unserer Stadt sind. Um die Erinnerung an den Mut der Menschen, die sich dem SED-Regime entgegengestellt haben, wach zu halten und damit auch gleichzeitig klar zu machen, weshalb es wichtig ist, sich immer wieder für die Demokratie und für Menschenrechte einzusetzen, müssen wir diese Menschen auch erreichen. Das beugt im Übrigen auch manch einem Versuch vor, eine beschämende Umdeutung der Geschichte und des Gedenkens zu unternehmen. Ich erinnere mich an Versuche, die Friedliche Revolution und die Montagsdemonstrationen umzudeuten und für eine rückwärtsgewandte Politik als Argumentationsgrundlage nutzbar zu machen.

Auch beim erinnerungspolitischen Konzeptist die Stadt Leipzig wieder Vorreiterin. Wenige deutsche Städte haben sich erst auf den Weg gemacht. Ich möchte dem Dezernat Kultur dafür danken, dass wir nun über das Konzept abstimmen können, auch wenn es auf dem Weg bis hierher ein paar Verzögerungen gab. Persönlich freue ich mich, nun über das Konzept abstimmen zu können, weil mich das Thema nicht nur im Rahmen meines Studiums der Kulturwissenschaften beschäftigt, sondern ich mich auch gefreut habe, dass wir im Rahmen der Verhandlungen zum aktuellen Doppelhaushalt die Gelder zur Verfügung stellen konnten.

Wir haben nun eine Grundlage für die erinnerungspolitische Arbeit, die wir in den nächsten Jahren sicher noch anpassen und ergänzen können. Ich finde es gut, dass das Konzept offen strukturiert ist und eben nicht eine zementierte Erinnerungskultur vorschreiben möchte, sondern die Vielfältigkeit und die Eigenarten der Anlässe und Gedenkformen berücksichtigt, wir aber dennoch das Stückwerk der vergangenen Jahre hinter uns lassen. Meine Fraktion wird der Vorlage zustimmen, dem Änderungsantrag der Grünen hingegen nicht.

Vielen Dank!

Redner: Christopher Zenker, Fraktionsvorsitzender

Es gilt das gesprochene Wort!

Christopher Zenker
Christopher Zenker

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
werte Gäste,

ich habe Freunde in Israel. Freunde, die wochenlang, manche monatelang gegen die Regierung Netanjahus auf die Straße gegangen sind. Israelische Freunde, die für Verständigungen zwischen Arabern, Palästinensern, Muslimen, Juden und Christen geworben haben. Freunde, die bereits in der Vergangenheit regelmäßig in den Schutzräumen waren, wenn die Hamas Raketen auf Israel abgefeuert hat. Freunde, die mir berichten, dass es kaum jemanden gibt, der nicht mindestens eines der über 1.200 Opfer des Terrorangriffs der Hamas vom 7.10.2023 kennt. Unter den Opfern sind auch Menschen aus unserer Partnerstadt Herzliya, die u.a. auf einem Festival feierten.

Ich habe israelische Freunde, die das sozialistische Kibbuz Be’eri in der Nähe des Gazastreifens kennen.  Ein Kibbuz, welches einen Fond für Bewohnerinnen und Bewohner des Gazastreifens aufgebaut hat. Ein Kibbuz, das für Verständigung stand, wo Menschen aus Gaza arbeiteten. Ein Kibbuz, in dem 130 Männer, Frauen, Kinder, Babies und damit 10 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner von etwa 70 Terroristen abgeschlachtet wurden. Denen die Kopfhaut abgezogen wurde, die erschossen mit Stacheldraht zusammengebunden und angezündet wurden. Kinder, die vor den Augen ihrer Eltern gequält und hingerichtet wurden. Die Terroristen der Hamas haben diese Taten gefilmt und an Familienangehörige der Opfer verschickt. Sie haben Geiseln vom zweijährigen Kind bis zur Rentnerin genommen, Frauen vergewaltigt, schwer misshandelt und die Entführten unter Jubel im Gaza zur Schau gestellt.

Die Terroristen wollten töten. Ihnen waren die Menschen egal. Sie haben ganz bewusst und gezielt keine Rücksicht genommen auf zivile Opfer, auf Babies, Kinder, Frauen und alte Menschen. Nach einem solchen Terrorakt, dem massivsten Zivilisationsbruch gibt es kein „Ja, aber“, kein Relativieren!

Insofern erfüllt es mich mit Entsetzen, dass der Terrorrangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 nicht gesamtgesellschaftlich, partei- und religionsübergreifend von allen „ohne Wenn und Aber“ verurteilt wird. Stattdessen müssen wir erleben, dass dieser menschenverachtende Terrorangriff auch in Deutschland von Islamistinnen und Islamisten bejubelt wird und auf den Straßen zur Feier Süßigkeiten verteilt werden. Wir müssen erleben, dass dieser Terrorakt zwar verurteilt wird, aber im nächsten Moment durch ein „ja, aber Israel hat“ oder „ja, aber die Juden haben doch“ relativiert wird.

In der Vergangenheit haben wir vor allem einen Antisemitismus von rechts erleben müssen. Auf diesen waren 90 Prozent der antisemitischen Straftaten zurückzuführen. Seit dem 7.10. müssen wir erleben, wie sich islamistischer und linker Antisemitismus Bahn brechen. Wir erleben, wie das Existenzrecht Israels auf so genannten propalästinensischen Demonstrationen in Frage gestellt oder verneint wird. Wir werden Zeugen, wie Jüdinnen und Juden noch weniger als zuvor öffentlich zu ihrem Glauben stehen können, weil sie Angst haben, eine Kippah zu tragen oder hebräisch zu sprechen.

Wir müssen auch feststellen, wie tief israelbezogener Antisemitismus auch in Leipzig wirkt. Israelbezogener Antisemitismus liegt vor, wenn an den einzigen jüdischen Staat andere Maßstäbe angelegt werden, als an alle anderen Länder dieser Welt.  Israelbezogener Antisemitismus liegt vor, wenn Israels Recht auf Selbstverteidigung in Frage gestellt wird. Es ist israelbezogener Antisemitismus, wenn die berechtigte Selbstverteidigung Israels gleichgesetzt wird mit den schrecklichsten Taten der Menschheit, der Shoah oder Genoziden an anderen Völkern.

Zu unterscheiden ist davon übrigens die Kritik an Regierungen, die selbstverständlich auch an der israelischen, wie an jeder anderen Regierung zulässig ist. Kritik, die an vielen Punkten wichtig und geboten ist. Kritik, wie sie im Übrigen zu 100.000enden von den Israelis selbst geübt wurde und wie sie auch die ehemalige Bürgermeisterin unserer Partnerstadt Herzliya geübt hat, indem sie mit der erneuten Vereidigung von Netanjahu von ihrem Botschafteramt in Paris zurückgetreten ist, da sie für diese Regierung nicht tätig sein wollte.

Es ging mir nah, als auf einer Kundgebung am 9.11.2023 die Namen der 242 durch die Hamas Entführten verlesen wurden. Mir treibt es auch die Tränen in die Augen, wenn ich das furchtbare Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen sehe. Das ist Leid, das durch die Hamas verursacht wurde und wird. Denn alles wird knapp im Gazastreifen, Lebensmittel, Wasser, Strom, Medikamente, Benzin, aber die Raketen der Hamas scheinbar nicht. Für die Hamas spielen die Belange der zivilen Bevölkerung des Gaza-Streifens keine Rolle. Das Gegenteil ist der Fall: zivile Opfer sind Teil ihres Kalküls. Die Situation im Nahen Osten macht traurig und wütend. Auch wenn es in weiter Ferne scheint: Ich wünsche mir Frieden für die Menschen im Nahen Osten, ich wünsche mir eine Zwei-Staaten-Lösung. Diese wird nur ohne die Hamas gehen und auch nur wenn die Länder der Region dieses Ziel gemeinsam verfolgen.

Die Hamas hat einen Krieg entfesselt, der begleitet von Demonstrationen auch die Sicherheit von Israelis sowie Jüdinnen und Juden in Deutschland, auch in unserer Stadt Leipzig, gefährdet. Israelische und jüdische Einrichtungen und Geschäfte müssen wieder verstärkt geschützt werden. Unsere jüdischen und israelischen Freundinnen und Freunde, unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Leipzig haben Angst. Wir spüren diese Angst und wir nehmen sie ernst. Dass wie sie ernst nehmen, müssen wir jedoch noch stärker zeigen: Durch unsere Anteilnahme, durch ein deutliches Bekenntnis zum Miteinander, durch eine klare unmissverständliche Verurteilung des Terrors der Hamas, ganz ohne “ja, aber“. Denn für die Verbrechen der Hamas gibt es keine Relativierung!

Ich bin 1979 geboren. Ich trage keine Schuld an den Verbrechen der Nazis, an der Shoa. Aber ich trage Verantwortung. Verantwortung dafür, dass so etwas wie die Shoa nie wieder passiert. Deshalb setze ich mich ein: gegen Diskriminierung, gegen Rassismus und gegen Antisemitismus.

Ich verurteile Antisemitismus, wenn er von rechts kommt, z.B. durch die Relativierung der NS-Vergangenheit, wie sie die AfD regelmäßig betreibt, oder durch den Anschlag auf die Hallenser Synagoge am 9.10.2019. Aber ich verurteile Antisemitismus auch und erhebe meine Stimme, wenn Antisemitismus – getarnt als „Israelkritik“ in Worten und Taten – von islamistischer oder linker Seite kommt.

Wenn wir es ernst meinen, Antisemitismus nicht zu dulden, dann gilt das für alle Formen des Antisemitismus: Egal, ob er israelkritisch daherkommt, islamitisch, rechtsextrem oder links geprägt ist.

Nur dann meinen wir es ernst mit „Nie wieder“. Denn „Nie wieder“ ist jetzt!

Redner: Christopher Zenker, Fraktionsvorsitzender und sozialpolitischer Sprecher

Es gilt das gesprochene Wort!

Christopher Zenker
Christopher Zenker

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, verehrte Stadträtinnen und Stadträte, werte Gäste,

mit unserer Anfrage zur Entwicklung der Vergabe von Plätzen in kommunalen Kindertagesstätten sowie jenen in freier Trägerschaft aufgeschlüsselt nach Betreuungsverträgen, Integrationskindern und Kindern mit Migrationshintergrund wollte unsere Fraktion prüfen, ob sich bestimmte Eindrücke bestätigen.

Erstens, der Eindruck, dass Kitas in kommunaler Trägerschaft Betreuungsvereinbarungen nach tatsächlich genutzter Stundenzahl vergeben und deshalb weit weniger Verträge über 45h pro Woche abschließen. Der direkte Vergleich der Zahlen zeigt: nur 47% der Verträge wurden in kommunalen Kitas über 45 h/Woche abgeschlossen, bei den freien Trägern waren es hingegen über 75 %.

Es ist zu hinterfragen, ob Kinder in Kitas in freier Trägerschaft tatsächlich länger betreut werden müssen oder ob den Eltern in einer Vielzahl der Kitas in freier Trägerschaft ausschließlich 45h oder 40 h pro Woche-Verträge angeboten werden. Zunächst muss jede Kita den Eltern die Möglichkeit geben, einen Betreuungsvertrag mit der Höhe der Stundenzahl abzuschließen, wie sie die Eltern tatsächlich benötigen. Es ist sicherzustellen, dass allen Eltern das Wunsch- und Wahlrecht in jeder Kita zugestanden wird.

Wie allgemein bekannt, zählen aber aufgrund des Betreuungsschlüssels des Landes ausschließlich Verträge ab 45h/Woche als voll anzurechnende Betreuungsverträge. Die Anzahl der abgeschlossenen 45h/Woche-Verträge pro Kita haben somit erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der zugeteilten Personal- und Sachkosten pro Kita. Hier muss nach tatsächlich geleisteten Stundenzahlen verteilt werden.

Zweitens, der Eindruck, dass kommunale Kitas viel mehr Integrationskinder sowie Kinder mit Migrationshintergrund betreuen. Gerade bei Kindern mit Migrationshintergrund geht die Schere weit auseinander. 2022 wurden knapp 29% von ihnen in Kitas in freier Trägerschaft betreut, während die kommunalen Kitas 70% der Kinder betreuten.

Der Segregation in Kindertagesstätten muss aber entgegengewirkt werden, wir wollen eine soziale Durchmischung der Kinder in allen Leipziger Kitas. Nur so kann Integration wirklich gelingen. Zudem bedeuten die derzeitigen Zahlen eine höhere Arbeitsbelastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der städtischen Kindergärten, da sie mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert sind, die im interkulturellen Zusammenleben entstehen, denn viele Eltern und Kinder mit Migrationshintergrund sprechen kaum Deutsch.

In der vorliegenden Neufassung unseres gemeinsamen Antrags mit der Linken-Fraktion fordern wir deshalb entsprechende durch die Verwaltung erarbeitete Handlungsrichtlinien. Diese müssen gewährleisten, dass alle Erzieherinnen und Erzieher, unabhängig davon, ob sie in einer Kita in kommunaler oder freier Trägerschaft oder eines städtischen Eigenbetriebes arbeiten, einem ähnlichen Arbeitspensum ausgesetzt sind und den Eltern das Wunsch- und Wahlrecht zusteht. Auch braucht es dringend Weiterbildungsangebote für die Erzieher und Erzieherinnen, die Kinder mit Migrationshintergrund betreuen.

Wir übernehmen in weiten Teilen den Verwaltungsstandpunkt, fordern aber mehr Transparenz bei der Ausarbeitung der Kita-Grundsatzvereinbarung. So soll den aufgrund unserer Anfrage aufgeführten Missständen –  der Sicherung des Wunsch- und Wahlrechts bei der Betreuungszeit sowie der Segregation der Kinder – entgegengewirkt werden.