Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Beigeordnete,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
werte Gäste hier und im Livestream,
meine Kollegin Marsha Richarz von den Grünen hat ein SocialMedia-Format namens „Wer hat den Scheiß Antrag gestellt?“. Und genau diese Frage habe ich mir beim ersten Lesen im Sozialausschuss auch gestellt. Zumindest hätte ich Ihnen zunächst nicht sagen können, ob der Antrag aus der Feder der AfD oder der CDU stammt.
Ich löse auf: Er kommt von den Christdemokraten. Kurz nach Weihnachten möchte ich mir deswegen erlauben, einen kleinen Bibelexkurs zu wagen. Im 3. Buch Mose heißt es in Kapitel 19, Vers 34: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“ Dabei wird auf die Zeit verwiesen, als die Israeliten als geknechtetes Volk in Ägypten leben mussten. Und auch im Neuen Testament ist das Prinzip der Nächstenliebe oberstes Gebot: „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“ (Matthäus-Evangelium (Kap.25, Vers 35ff)
Wenn ich mir Ihren Begründungstext so durchlese, beschreiben Sie Migration durchweg als „Problem“. Das Problem sind aber nicht geflüchtete Menschen, das Problem sind in erster Linie Fluchtursachen – Krieg, Umweltkatastrophen, politische Verfolgung, Hunger, Elend und bittere Armut. Und solange das so ist, werden Menschen auf der Flucht sein. Und solange gebietet es uns das Grundgesetz und unser menschlicher Anstand, diesen Menschen Schutz zu gewähren und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Im Begründungstext des CDU-Antrags steht: „ihm (dem Beschluss von 2012) fehlt der nötige Pragmatismus und die Sachlichkeit, um der heutzutage erforderlichen Unterbringungspraxis gerecht zu werden“. – Pragmatismus und Sachlichkeit? Wir sprechen hier nicht über Sofas oder Küchenmöbel, wir sprechen hier über Menschen!
Und jetzt frage ich sie: Halten Sie 6qm zum Leben für einen Menschen wirklich für angemessen? In der letzten Ratsversammlung haben Sie in Ihrem Antrag zum Parken in der Karl-Heine-Straße die Einrichtung von 60 kostenfreien Parkplätze gefordert. Ein Parkplatz hat eine Standardgröße von 10-13qm. Einem geflüchteten Menschen gönnen Sie noch nicht mal 7,5 qm. Sie gestehen einem parkenden Auto in unserer Stadt mehr Platz zum Rumstehen zu als einem Menschen in Not zum Leben. Wie das mit christlicher Nächstenliebe einhergeht, ist mir gelinde gesagt schleierhaft.
Ich habe mich mal in der Landeshauptstadt erkundigt, die Sie ja so gern zu Vergleichen heranziehen: Dort gilt der Mindeststandard von 6qm. Und die Problemlagen sind vielfältig: fehlender Platz für Spielecken und Krankenzimmer, Hygieneprobleme und,und,und.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin noch neu hier im Rat – und doch verstärkt sich in jeder Ratsversammlung, die ich hier miterlebe, der Eindruck, dass die CDU-Fraktion aus Leipzig gern ein zweites Dresden machen möchte. Mehr Parkplätze hier, weniger Soziokultur da, Austreten aus dem Bündnis „Sicherer Hafen“ und natürlich: Menschen, die zu uns fliehen, auf noch engerem Raum zusammenpferchen.
Und ganz ehrlich: Nein, das möchten wir nicht!
Als SPD-Fraktion stehen wir hinter dem 2012 von der Ratsversammlung getroffenen Beschluss. Auch der Verwaltungsstandpunkt ist eindeutig: An den Unterbringungskapazitäten der bisherigen Objekte würde eine Absenkung der Standards nullakommanichts ändern. Es handelt sich hierbei also wieder einmal vor allem um eins: das Ausspielen der Schwächsten in unserer Gesellschaft gegeneinander.
Mit dem dritten Beschlusspunkt in Ihrem Antrag wollen Sie darüber hinaus noch die Stadtbezirksbeiräte und Ortschaftsräte entmündigen, in dem dort nicht mehr über geplante Unterkünfte informiert werden soll. Dabei sind es genau solche öffentlichen Gremiensitzungen, in denen transparent berichtet und diskutiert werden soll.
Wir lehnen den CDU-Antrag selbstverständlich ab und bitten alle Demokrat:innen im Raum, es uns gleichzutun. Vielen Dank.