Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
werte Gäste!

Die heutige Sondersitzung des Stadtrates ist ein weiteres Kapitel in der Familiensaga der Stadt Leipzig und ihrer Töchter, Enkel und Urenkel – eine unendlichen Geschichte, die noch vor der Gründung der LVV vor 15 Jahren begann und sicherlich noch viele Jahre als Fortsetzungsroman weiter geschrieben werden wird. Vielleicht gibt es auch eines Tages hierzu eine Telenovela, die dann über schnelle Datenleitungen zehntausendfach konsumiert werden kann.

Auch das heute zu behandelnde Kapitel hat eine sehr lange Vorgeschichte. Die meisten Protagonisten der Vergangenheit, darunter ein paar große und kleine Könige, aber auch eine ganze Reihe Vasallen sind einem großen Teil, der heute hier in diesem Saal in Verantwortung für unsere Stadt stehenden Stadträte, Bürgermeister, Oberbürgermeister und Geschäftsführer nicht einmal mehr vom Namen her bekannt.

Noch weniger gegenwärtig sind fast allen Anwesenden hier im Saal die konkreten Umstände und Hintergründe, warum 1997 – Stichwort Gesellschafterdarlehen oder 2003 – Stichwort Rückkauf von 40% SWL-Anteilen, die Entscheidungen, übrigens alle durch Beschlüsse des Stadtrates untersetzt, so und nicht anders gefallen sind.
Deshalb ist es auch nicht opportun, ja sogar unredlich, die damaligen Entscheidungen mit dem Hintergrundwissen von heute per se mit dem Attribut „falsch“ oder „richtig“ zu belegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Parlamente, also auch der Stadtrat, entscheiden nicht jedes Mal vom Grundsatz her neu, auch nicht wenn politische Mehrheiten wechseln.
Sondern, sie bauen auf demokratisch legitimierten Entscheidungen auf und haben die Pflicht, diese Entscheidungen jeweils neuen Gegebenheiten gegenüber anzupassen.

Warum hole ich soweit aus? Weil ich den Eindruck habe, dass es auch unter uns Stadträten einige gibt, die sich vor dieser Verantwortungsübernahme scheuen. Ja mehr noch, ich habe den Eindruck, und das ist mir in den letzten Wochen mehr als klar geworden, das der gesamte Stadtrat, mich und meine Fraktion eingeschlossen, seit 2008 nicht sorgsam genug mit der LVV–Problematik und den eigenen Beschlusslagen umgegangen ist.

Zum einen hat der Stadtrat im Oktober 2008 die Eigentümerziele für die LVV formuliert, darin u. a., dass die LVV im Konzern die vollständige Finanzierung des ÖPNV im steuerlichen Querverbund sicher stellt und die Tilgung des Gesellschafterdarlehens umsetzt.
Der Ehrlichkeit halber ist hinzuzufügen, dass darüber hinaus Erwartungen gegenüber der Geschäftsführung formuliert wurden, die zusätzliche Haushaltsbeiträge oder Investments beinhalteten und realisierten.

Im Ergebnis der Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der LVV vor allem in Bezug auf die Erwartungshaltung der Eigentümerin, also der Stadt Leipzig, hier vertreten auch durch den Stadtrat wurde dieser bereits spätestens mit der Ratsversammlung im Januar 2009 über eine finanzielle Deckungslücke bis 2012 in Höhe von 145 Mio. Euro informiert. 145 Mio. Euro – übrigens auch ein Ergebnis des Bürgerentscheides von 2008.
Die Reaktion des Stadtrates bis Mitte/Ende letzten Jahres: freundliche Kenntnisnahme und Hoffen auf bessere Zeiten.

Die LVV hat seit 2008 in immer kürzer werdenden Schritten dem Stadtrat gegenüber kein Hehl daraus gemacht, dass ein Baustein zur Verbesserung der Konzernfinanzierung die Veräußerung von Beteiligungen darstellt.
Der Oberbürgermeister hat pflichtgemäß und in Verantwortung für die Stadt und den Konzern gehandelt, durch Beschlussvorlagen im Aufsichtsrat und uns gegenüber.
Verzögert und gezögert hat wiederum der Stadtrat.
Ich persönlich werde diese defensive Haltung nicht mehr verantworten wollen.

Worum geht es?
Zu allererst um die Erkenntnis, dass wir heute über die Leistungsfähigkeit der Gesamtstadt als Einheit von städtischem Haushalt und Konzernbilanz zu entscheiden haben. Und zwar ganz konkret bereits für den Haushalt 2011.
Mit der uns vorliegenden Beschlussempfehlung, die durchaus für eine ganze Reihe Stadträte, einen schwer verdaulichen Kompromiss darstellt, gehen wir über die reine Frage einer Teilprivatisierung von zwei kommunalen Unternehmungen deutlich hinaus. Es werden darüber hinaus Lösungen zur Neuordnung der Finanzströme zwischen LVV und Stadt angestrengt und es wird nach 2008 bereits erneut die Effizienz der Konzernstruktur hinterfragt. Beides muss sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wenn wir heute diesen vorgeschlagenen Weg nicht gehen – andere, belastbare Lösungen wurden von den Kritikern leider bis heute nicht aufgezeigt – verschärfen wir das Finanzproblem der Stadt und des Konzerns in unverantwortbarer Art und Weise.
Sollte der Finanzbürgermeister durch den Stadtrat gezwungen werden, den Haushalt zu kassieren, plädiere ich persönlich für einen radikalen Schnitt bei den freiwilligen Leistungen. Im investiven Bereich dürfen wir den uns dann noch verbleibenden kleinen Spielraum für die Zukunftsgarantie unserer Stadt nicht verbauen.

Den Gegnern der heutigen Beschlusslage werfe ich falsches Spiel vor. Ehrlich wäre es von denen am vergangenen Sonnabend gewesen, wo durch den Finanzausschuss in Kenntnis der heutigen zu behandelnden Thematik weitere Ausgaben von über zwei Millionen beschlossen wurden, jegliche Ausgabenerhöhungen dann auch konsequenterweise abzulehnen. Der Topf ist leer gelöffelt.
Wer die Lösung in fiktiven Gewerbesteuereinnahmen sieht, möge daran denken, dass diese aus Unternehmensgewinnen fließen, zum weitaus großen Teil aus privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen, die bei Ablehnung ein Signal aus dem Stadtrat erhalten, welches man auch so interpretieren kann: Unternehmer und deren Investments sind in dieser Stadt unerwünscht.

Beschlussvorschlag:
1. Das Verkehrsschild an der Ecke Wundtstraße/Karl-Tauchnitz-Straße „Für LKW frei bis F.-Rhode-Straße“ wird entfernt und durch ein übliches LKW-Verbotsschild ohne Ortshinweis ersetzt.
2. Die Stadt soll bis zum 30.06.2011 eine Verkehrszählung in quantitativer und qualitativer Hinsicht für LKW ab 3,5 Tonnen und Schwerlaster vornehmen. Dabei soll eruiert werden, wie hoch die Anteile von Durchgangs- und Zielverkehren sind.
3. Sollte es sich um einen erheblichen Anteil von Durchgangsverkehren handeln, soll ein generelles LKW-Verbot (mit Ausnahme Lieferverkehr frei) innerhalb des Autobahnringes, wie in München bereits eingeführt, für Leipzig geprüft und umgesetzt werden.
4. Das bisherige Verkehrskonzept der Stadt soll generell überprüft und weiter entwickelt werden. Dazu wird dem Stadtrat in diesem Jahr eine entsprechende Beschlussvorlage vorgelegt.

Begründung:
Die aktuelle Entwicklung im Musikviertel hinsichtlich der Proteste gegen die Verkehrssituation gibt Anlass zur Sorge. Die Ferdinand-Rhode-Straße, als Anwohnerstraße ausgewiesen, ist überhaupt nicht, sowohl vom Zustand als auch vom Verlauf, für Durchgangsverkehr geeignet. Vor allem sind hier direkt mehr Anwohner – besonders Familien und Senioren – betroffen als in der Harkortstraße, die nun vom Schwerlastverkehr befreit ist.
In der F.-Rhode-Straße befindet sich ein großer Kindergarten. Viele Eltern bringen und holen ihre Kinder mit dem Auto ab. Die Gefahrenquellen, die man damit schafft, sind keinesfalls hinnehmbar und auch nicht durch den Luftreinhalteplan zu rechtfertigen.
Im Zuge der Weiterentwicklung des gesamtstädtischen Verkehrskonzeptes muss insbesondere die Reduzierung des LKW-Durchgangsverkehrs eine Schlüsselrolle spielen.

Ansprechpartner: Heiko Oßwald (Kontakt: 0179-2157105)

Beschlussvorschlag:
Der Leipziger Stadtrat spricht sich im Rahmen der Schließung der Sparkassen-Filiale Selliner Straße für den Einsatz von Selbstbedienungsautomaten für Bargeld und Überweisungen (SB-Filiale) als Ausgleichsmaßnahme aus. Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Rahmen seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Verwaltungsrates der Sparkasse Leipzig sich für dieses Anliegen einzusetzen.

Begründung:
Das Wohngebietszentrum im Grünauer WK 8 versorgt etwa 10.000 Einwohner der Stadt Leipzig. Es ist als ein Stabilisierungskern innerhalb des Stadtumbaugürtels in Grünau ausgewiesen. Bisher wird dies insbesondere durch private Investitionen gewährleistet. Zur langfristigen Funktionsfähigkeit eines solchen Zentrums gehören jedoch neben diversen öffentlichen Investitionen auch grundlegende Dienstleistungen wie Bargeldversorgung und Zahlungsabwicklungen.
Durch die Schließung der Selliner Straße als Vollfiliale kann die Sparkasse Leipzig bereits deutliche Einsparungen am Standort vornehmen. Die verbleibenden Kosten für den Betrieb von Selbstbedienungsautomaten müssen von der Sparkasse Leipzig im Rahmen ihres Versorgungsauftrages weiter getragen werden. Von einer deutlichen und hohen Nachfrage kann aufgrund der bisher möglich gewesenen Nutzung als Vollfiliale ausgegangen werden. Auch die Lage im Herzen des WK 8, inmitten eines Ärzte-, Einkaufs- und Kulturzentrums sprechen dafür.

Ansprechpartner: Heiko Bär (Kontakt: 01577-1583356)

Beschlussvorschlag:
Die Geschäftsordnung für die Ratsversammlung (Stadtrat) der Stadt Leipzig und ihre Ausschüsse wird unter §13 Anfragen wie folgt geändert:

(4) Für die Beantwortung von Anfragen nach Abs. 1 steht je Sitzung ein Zeitraum von einer Stunde zur Verfügung. In Ausnahmefällen kann eine schriftliche Beantwortung vereinbart werden. Nicht erledigte Anfragen und unbeantwortet gebliebene Zusatzfragen werden vom Oberbürgermeister innerhalb einer Frist von zehn Tagen schriftlich gegenüber allen Stadträten beantwortet. Alle Antworten, ob sie mündlich in der Ratsversammlung oder entsprechend schriftlich beantwortet wurden, werden umgehend in das elektronische Ratsinformationssystem eingepflegt.

Form der schriftlich beantworteten Anfragen:
Jeder einzelnen Antwort in einer Anfrage ist die zugehörige Frage voranzuführen.

Ansprechpartner: Mathias Weber (Kontakt: 0341-1232139 – über die Fraktionsgeschäftsstelle)

Beschlussvorschlag:
Verweist eine Vorlage oder Information, die dem Stadtrat oder dessen Gremien vorgelegt werden soll, auf zurückliegende Beschlüsse respektive Drucksachen, so ist durch das zuständige Dezernat zu prüfen, ob diese im „Elektronischen Ratsinformationssystem“ vollständig vorhanden sind.

Ist dies nicht der Fall, sind alle fehlenden Dokumente in elektronischer Form zeitgleich mit den Dokumenten nach RBIV-1121/08 an das Büro für Ratsangelegenheiten zu übergeben.

Begründung:
Eine Vielzahl von Drucksachen verweisen auf ältere Beschlüsse. Durch das Einpflegen aller notwendigen Dokumente kann auch für neue Stadträte die Konsistenz des Verwaltungshandelns nachvollzogen werden.


Ergänzungsvorschlag:

Der Beschlussvorschlag wird wie folgt ergänzt:

Beschlusspunkt 4:
… Die Stadt Leipzig erwartet außerdem die Zusicherung des ZVNL, dass mit Betriebsaufnahme des „Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes“ die Wiederaufnahme des Betriebes der S 1 erfolgt.

Neuer Beschlusspunkt 5:
Sofern die vorübergehende Stilllegung der S 1 unausweichlich ist, sind aus Sicht der Stadt Leipzig folgende Kompensationsmaßnahmen (s. Punkt 4) vorzunehmen:
– Führung der Buslinie 80 von Wahren über Möckern nach Grünau
– dichterer Takt des Grünolino
– ggfl. eine zusätzliche Straßenbahn auf der Stadtbahnlinie 15 in der Frühspitze

Zu prüfen ist, inwieweit die Instandsetzung der S-Bahn-Brücke Miltitzer Allee mit Mitteln des ZVNL finanziert werden kann.
Die Deutsche Bahn ist nachdrücklich anzuhalten, eine regelmäßige Beräumung von Verunreinigungen auf den vorübergehend stillgelegten Bahnanlagen durchzuführen.

Neuer Beschlusspunkt 6:
Die Stadtverwaltung informiert den Stadtrat in geeigneter Weise über die im ZVNL geprüften Optionen und ihrer Ergebnisse.

Redner: Axel Dyck, Fraktionsvorsitzender

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
werte Gäste!

Vor genau einem Jahr wurden die Haushaltsreden für das Jahr 2010 gehalten. Ich erinnere mich gut – an herausgehobener Stelle wurde in allen Statements teils sehr emotional auf die damals für uns alle ganz neue Situation rund um die KWL eingegangen. Zögerlich, ohne ausreichendes Faktenwissen, teils noch naiv ahnungslos was über uns kommen könnte, aber in großer Sorge um unsere Stadt wurde von allen Rednerinnen und Rednern sehr verantwortungsvoll und ohne politische Trivialpolemik argumentiert. 
Seien wir ehrlich, wir wussten vor einem Jahr noch gar nichts. Heute wissen wir sehr viel mehr, sicherlich aber noch nicht alles, das wird auch so bleiben – Rechtsanwälte, darunter die Stars der internationalen Sozietäten, Staatsanwälte, Richter in Deutschland und England, sogar am Europäischen Gerichtshof, haben den Fall „Leipzig“ übernommen. Taktik bestimmt das Spiel. Die Kontrahenten entwickeln dabei neue Ebenen, in denen schnell die eigentlichen Ursachen des Skandals vernebelt und die möglichen katastrophalen Auswirkungen vor allem in Bezug auf die legitimen Interessenslagen der Stadt Leipzig zweitrangig werden können. Wir tun alle gut daran, sehr aufmerksam und kritisch die weitere Entwicklung zu beobachten und in den Aufsichtsgremien, in denen ein Teil der Stadträte vertreten sind, auch die entsprechenden Entscheidungen verantwortungsvoll mit vorzubereiten.

Da bin ich bei einem meiner „Lieblingsthemen“ – die Gesamtverantwortung, die der einzelne Stadtrat für die Großstadt Leipzig in ihrer Interessensvielfalt mit seinem Mandat übernommen hat.
Es ist bemerkenswert und immer wieder positiv herauszuheben, mit welcher Sorgfalt und Intensität der Stadtrat sich beim Thema KWL der Verantwortung gestellt hat, nahezu frei von politischem Gezänk und den üblichen Rechtfertigungsposen.
Die an dieser Stelle sichtbar gewordene Verantwortung für unsere Stadt muss aus meiner Sicht auf weitere kommunale Handlungsfelder übertragen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir können nicht über den Haushalt der Stadt Leipzig mit Blick auf die Ausgabenseite reden, ohne über seine Finanzbasis nachzudenken und über die Finanzausstattung der Kommunen im Allgemeinen zur sprechen.
Das kann aber sehr schnell in ein „Schwarzes Peterspiel“ ausarten. Dass die kommunale Ebene gemeinhin unterfinanziert ist und durch Bundes- und Landesgesetzgebungen eher be- als entlastet wird, ist bekannt. Da hat sich in 2010 nichts geändert und es wird sich da auch mit großer Sicherheit in 2011 nichts Wesentliches ändern. Es hilft uns deshalb überhaupt nichts und ich bin es persönlich auch Leid, wenn von diesem Platz aus, dem Stadtrat, nur die üblichen Schuldzuweisungen an die Landes- und Bundesebene gerichtet werden. Warum? Erstens sind die Sachverhalte nicht neu und allen auch bekannt.
Und zweitens, über den Sächsischen und Deutschen Städtetag werden auch unter Einflussnahme unserer Ober- und Bürgermeister diese Problemlagen diskutiert und wahrgenommen. Egal in welchen politischen Konstellationen sich die Verantwortungsträger in den Kommunen und den Ländern bzw. Bund gegenüberstehen, die jeweilige Hoffnung, unterschwellig oder direkt formuliert, dass der Wählerwille es irgendwann mal zu Gunsten der vermeintlich benachteiligten politischen Idee richten wird, ist mit Verlaub gesagt, politisches Roulett mit einem Optionsschein auf die Wahlkabine.
Deshalb bin ich auch gegen das Placebo „Verfassungsklage“.

Auch wenn es fatalistisch und verzagt klingen möge. Der Stadtrat als letztes Glied in der Kette, muss die durch ihn nicht direkt beeinflussbare Seite der Finanzausstattung, also den Finanzausgleich im weiteren Sinne, als Tatsache erstmal akzeptieren und seinen Einfluss lieber dort geltend machen und die Verantwortung sowie die Entscheidungskompetenz übernehmen, wo er die Stellschrauben selbst drehen kann. Also bspw. bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die örtliche Wirtschaft, egal ob es die Privatwirtschaft oder die Kommunalwirtschaft ist. Von dort aus wird die zweite und dritte Achse der Finanzausstattung der Kommune, nämlich über Steuern und direkte Finanzflüsse bestimmt.
Hier dürfen wir uns nicht rausmogeln. Entscheidungen dazu stehen in Kürze an.

Kritik muss aber dann hörbar formuliert werden, wenn langfristig angelegte Entwicklungen und Projekte, die für uns eine vermeintlich verlässliche Basis bildeten, abrupt der Beliebigkeit anheim fallen. Als Merkpunkte sollten hier gelten, die beschlossenen Änderungen im Kulturraumgesetz, die Kürzungen der Jugendhilfepauschalen und die Abschaffung des kostenfreien Vorschuljahres und die Kürzung bei den Städtebaufördermitteln. Kollegen der CDU – Fraktion, wo war eigentlich an dieser Stelle ihr Protest, wo Sie doch vor nicht allzu langer Zeit noch ein zweites freies Vorschuljahr hier in Leipzig durchsetzen wollten?

Sehr geehrte Damen und Herren!
Mit Sorge sehe ich in unserem Land und damit auch mitten in unserer Stadt eine schleichende Entsolidarisierung der Gesellschaft. Und wenn wir ehrlich sind, wir tun in unserer Stadt indirekt eine ganze Menge dafür, dass das so ist. Was meine ich damit? Ein beträchtlicher Teil unseres Haushaltsbudgets wird im Sozialetat, vereinfacht gesagt für Hilfe- und Unterstützungs-leistungen verausgabt – gesetzliche Leistungen und freiwillige Leistungen. Das ist per se nicht zu kritisieren, es ist ein Bestandteil unseres Sozialstaates. Das ist gut und richtig so.

Aber, ist es an dieser Stelle immer richtig, teils unkritisch, den einmal erreichten Status in Umfang und Höhe zu verstetigen, mit aller Macht zu verteidigen oder gar zu erweitern? Ein Großteil der HH-Anträge ist genau in diese Richtung determiniert. Und von 850 Bürgereinwänden fordern fast die Hälfte eine Erhöhung im Kinder- und Jugendhilfebereich. Ist das ein Ausdruck eines alleinigen Defizits an dieser Stelle oder ist unsere Konzentration auf diese Themen auch ein Ausdruck unserer Schwäche in Zeiten kommunaler Finanzschieflagen Balancen selbst anders herzustellen?

Die Entsolidarisierung einer Gesellschaft fängt dort an, wo wir andere Themen und Bevölkerungsschichten benachteiligen oder vernachlässigen und wo sich dieses als Gefühl verfestigt. Diese Gefahr ist immanent, weil für viele Menschen sichtbar und unterschwellig spürbar.
Dies ist keine Frage von oben oder unten in der Gesellschaft. Diese Frage zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten hindurch! Mir geht es vor allem aber um die breite Bevölkerungsmehrheit mit niedrigen und mittleren Vermögensverhältnissen in unserer Stadt.
 Wenn wir in deren Lebensbereichen, dort wo der materielle und immaterielle Wohlstand täglich erarbeitet wird, Defizite weiter zulassen, befördern wir indirekt die Entsolidarisierung der Stadtgesellschaft.
Die Solidargemeinschaft kennt keine Einbahnstraße!

Wo sollten der Rat aus Sicht der SPD–Fraktion deshalb die Schwerpunkte setzen, um Leipzig ohne träumerische Leitbildmelange, aber mit einem Höchstmaß an Realismus stetig weiterentwickeln?
Hierzu einige wenige Gedanken.

Erstens:
Durch einen Vorrang bei Investitionen in den Substanzerhalt unserer gesamten kommunalen Infrastruktur.
Der kurz- und mittelfristige Finanzbedarf über einen Zeitraum von 10 Jahren beläuft sich auf eine Summe, die die 1.500 Mio. EUR-Marke deutlich übertrifft.
Wir haben gerade eine Vorlage zur Diskussion erhalten, die allein im Schulbereich einen Bedarf von 570 Mio. EUR aufweist. Allerdings ohne Finanzierungsmodell.
Ähnlich sieht es bei Kindertagesstätten, Fußwegen, Radwegen, Straßen, Brücken, Kulturbauten, Sportstätten, dem Stadtumbau und der Pflege unserer Umwelt aus.
Der sichtbare Substanzverzehr im öffentlichen Raum ist es, der die Menschen mit Recht verunsichert und verdrossen macht.
Übrigens, diese Projekte sind für mich die eigentliche Daseinsvorsorge und nicht das Breitbandkabel.

Wir werden nicht umhin kommen, an dieser Stelle nicht nur über Prioritäten in der Mangelverwaltung zu reden und hier die entsprechenden Beschlüsse zu fassen. Viel wichtiger erscheint mir in aller Konsequenz, dass wir auch über die Finanzierung und die Finanzkraft unserer Stadt reden. Und zur Finanzkraft gehören auch die städtischen Unternehmen, die als Teil unseres städtischen Vermögens mit in der Verantwortung stehen. Als Hinweis, die jährlichen Investitionen des LVV-Konzerns in ihrem Kerngeschäft überschreiten die Investitionen der Stadt deutlich.

Bevor wir über die Reihenfolge der Baubeschlüsse reden, müssen wir Finanzierungsgrundsätze beschließen – und zwar in diesem Jahr. Da ist der Haushalt nur der zweite Anfang, begonnen wird bereits im Februar mit unserer Haltung zur LVV.

Zweitens:
Mit den beiden uns vorliegenden Anträgen der CDU–Fraktion zu den Strukturen unserer großen Kulturhäuser und zu den städtischen Museen wird sich der Rat über diesen Umweg „wohl oder übel“ einmal grundsätzlich mit der Zukunft der Kultur und der Kunst in unserer glücklicherweise damit reich gesegneten Stadt auseinandersetzen. Und zwar beides „Was wollen wir?“ und „Was können wir?“. Wir stehen hier, auch in unserer Stadt vor einer grundlegenden gesellschaftlichen Wertediskussion.
Die Haushaltsdebatte ist sicherlich hierfür nicht der richtige Ort, aber einige Gedanken sind trotzdem erlaubt:

Der Deutsche Musikrat lässt sich mit folgendem gern zitieren:
Das ökonomische Dilemma der darstellenden Künste besteht darin, dass Produktivitätssteigerungen in ihrem Kernbereich so gut wie unmöglich seien. Die Aufführung einer Oper erfordert den gleichen Zeitaufwand und die gleiche Personalstärke wie zum Zeitpunkt ihrer Uraufführung vor 150 oder 200 Jahren.

Bei Theatern und Oper entfallen rund drei  Viertel der Kosten auf Personalausgaben. Irgendwann haben wir eine funktionstüchtige Infrastruktur, in welcher Kultur stattfinden könnte, aber kein bezahlbares Personal, welches diese betreibt. Auch in unseren Häusern stehen signifikante Lohnsteigerungen an, die im Budget der Häuser und damit im Haushalt nur unzureichend abgebildet sind!

Mit diesen beiden Beispielen bin ich leider wieder zuerst beim ökonomischen Aspekt der Debatte gelandet und müsste doch eigentlich etwas anderes voranstellen.
Nämlich: Wozu brauchen wir die Kultur? Kultur als die eigentliche Daseinsvorsorge um die sicht- und spürbaren Defizite im ethisch-moralischen Kern unserer Gesellschaft, auch in unserer Stadt, beheben zu können.
Die Diskussion muss von beiden Seiten, von den Künstlern und ihren Protagonisten aber auch von den politischen Verantwortungsträgern und den nüchternen Finanzverwaltern ehrlich und auch provokativ geführt werden.
Ohne dieses wichtige gesellschaftliche Gespräch öffentlich geführt zu haben, was Kunst und Kultur uns wert sind, halte ich es für gefährlich, im Angesicht einer schwierigen Haushaltlage der Stadt Leipzig, die Kulturdebatte nur anhand einer Strukturdebatte führen zu wollen. Mir scheint, da wird der Gaul vom Schwanz her aufgezäumt.
Neue Strukturen die den Bestand nur in einer neuen Form zementieren um am Ende Tabellen und Charts kurzfristig etwa freundlicher erscheinen zu lassen bringen uns nicht weiter.

Die Diskussion wird uns viel abverlangen, wenn wir denn bereit sind, diese auch zu führen. Mir sei erlaubt, an dieser Stelle ein mittelgroßes Fragezeichen zu setzen.

Ich hatte von dem immensen Finanzierungsbedarf im Infrastrukturbereich gesprochen. Der ist ohne hinreichende Fördermittelausstattung schlicht nicht auflösbar. Da verwundert es schon, wenn ein 12–Millionenprojekt im Kulturbereich, welches ohne Fördermittel allein durch die Stadt umgesetzt wird, nämlich das neue Alumnat unserer städtischen „Thomaner“, durch eine irritierende Bemerkung des Thomaspfarrers in seinem Weihnachtsrundbrief flankiert wird, wo er von einer aus seiner Sicht mangelhaften Anerkennung der Leistung des Chores in unserer Stadt spricht.

Drittens:
Ein paar Bemerkungen zur Wirtschaftsentwicklung unserer Stadt.
Alle Statistiken im Umfeld des Werte schöpfenden 1. Arbeitsmarktes zeigen trotz der Krisenlage der letzen Jahre leicht positive Entwicklungen. Auf Details muss ich nicht eingehen. Aber wenn die Arbeitslosenquote seit 2006 um 22% (16,9% zu 12,9%) zurückgeht, bei gleichzeitig 10.000 mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und der Gesamtumsatz im verarbeitenden Gewerbe, unsere Achillesferse, über dem von 2007/2008 liegt – dann sind das bemerkenswerte Fakten.
Ich würde mich freuen, wenn diese, für unsere Stadt positive existentielle Tatsache vor allem im Rat etwas mehr Beachtung findet. Nicht um uns auf die Schulter zu klopfen, das würde ja bedeuten, dass wir unsere Rolle an dieser Entwicklung etwas überbewerten, sondern um unser weiteres Handeln an der Verstetigung dieser Entwicklung zu justieren.

Die für das letzte Jahr uns noch versprochene Fortschreibung der Clusterstrategie soll dem Stadtrat nun mit halbjähriger Verzögerung demnächst vorgelegt werden. Dem Fachausschuss Wirtschaft und Arbeit sind die Inhalte im Wesentlichen allerdings bereits bekannt. Ich gehe davon aus, dass der Wirtschaftsbürgermeister bereits auf der Basis der Defizitanalyse entsprechend handelt. Zeitverzögerung im Bereich analysierter Defizite im Umfeld der Wirtschaft ist das letzte was wir brauchen, der Markt ist zu schnell und zu radikal – die Verwaltung dagegen oft zu bräsig.
Das Argument „zu wenig Mitarbeiter“ darf nicht gelten, wenn nötig muss hier zukünftig aufgestockt werden.
Wie verwundbar wir auch in der Hoffnung in die Clusterstrategie sind, zeigt deren externen Einflussfaktoren und deren Volatilität am Beispiel der Strombörse EEX.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Zum Schluss noch etwas ganz anderes.
Die beiden letzten Jahre waren in Leipzig, wie in Deutschland von Jubiläen in Erinnerung an den Freiheitsgedanken „1989“ und die Deutsche Einheit „1990“ geprägt. Mit welcher Empathie diese singulären Ereignisse der deutschen Geschichte im Bewusstsein vieler Leipziger und ihrer Gäste sind, hat nicht zu letzt der 10tausendfache Zuspruch bei den Feiern am 9.Oktober gezeigt.

In diesem Jahr steht unser entscheidender Schritt zum „Freiheitsdenkmal“ im Fokus der deutschen Öffentlichkeit. Seien wir dabei bitte nicht zaghaft. Auch hier tragen wir eine sehr große Verantwortung.

Ich möchte zum Schluss mit einem Satz von Klaus von Dohnanyi enden:
„Ohne Ehrlichkeit und Klarheit über die eigene Leistungsfähigkeit und der Grenzen des Verteilungsspielraumes geht es nicht mehr. Dazu gehört Mut. Politischer Mut. Und Mut ist leider die knappste Ressource unserer Gesellschaft